Tanz der Dämonen
Niemand, der mich vielleicht gehört hatte, achtete noch auf mich. Übrigens kannte wohl keiner der Umstehenden die Namen meiner Freunde und hätte meine Rufe richtig deuten können. Außerdem war die Luft voll Geschrei. Und überhaupt denken die meisten Menschen selten über das nach, was andere gerade tun. Das ist ja die Stärke aller Gauner, Betrüger und Taschendiebe: Sie beobachten zielbewusst. Ihre Opfer dagegen handeln impulsiv, und die meisten Leute glauben allzu sehr dem äußeren Schein. Nur darf man einen Menschen nicht misstrauisch machen, weil ihm dann plötzlich alles verdächtig wird!
Also verhielt ich mich unauffällig und wartete auf Pietros Signal.
Mein Freund wickelte seinen Auftritt mit der gewohnten Geschicklichkeit ab. Die Zuschauer gafften mit offenen Mündern. Einem dicken Händler mit Pelzmütze fielen fast die Augen aus dem Kopf. Ein Geck in bunter Jacke fasste einer Marktfrau an den Busen; ihre Abwehr fiel nicht sehr entrüstet aus. Einige Kinder versuchten Pietros Kunststücke nachzumachen. Sogar eine Gruppe würdiger Nonnen verweilte neugierig.
Links von mir, unter einem Mauerbogen, wo sich die Zuschauer besonders dicht drängten, war ein Taschendieb am Werk. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Es war nicht der Mann, der mich bestohlen hatte, sondern ein lustig aussehender junger Bursche mit Sommersprossen, dem ich offen gestanden Erfolg gönnte. Sein Opfer schien ein reicher Prasser zu sein.
Indessen flogen Pietros Bälle immer höher empor und leuchteten wie Feuerfunken vor dem graublauen Umriss der gewaltigen Martinskirche.
In der Gasse war kein Durchkommen mehr! Zwei Büttel tauchten auf und ließen die Blicke argwöhnisch über die Menge schweifen. Ein paar Gesichter wurden starr, und einige Zuschauer drückten sich unauffällig beiseite. Die würden schon wissen, warum! Die Büttel schienen davon nichts zu bemerken.
Pietro brachte seine Vorstellung mit einem besonders kunstvollen Wirbel der Bälle zum Ende und schnitt eine lächerliche Grimasse vor einem Metzgerburschen, der ihn entgeistert anglotzte.
»Als ich das in Wittenberg gemacht habe«, rief er gut gelaunt, »hat sich ein Mann glatt den Kiefer ausgerenkt, so dass er den Mund nicht mehr zubekommen hat. Die Leute dort sind ja sehr bekannt für ihr großes Maul!« Gelächter ringsum. So etwas zog immer. Jeder wusste, dass er auf Luther und dessen selbstbewusste Reden anspielte.
»Glaubst wohl, du könntest das auch?«, fragte Pietro einen Jungen, der in der ersten Reihe stand und den Finger in die Nase bohrte. Gelächter.
»Oder Ihr, Gevatter?« Abwehrende Geste des Gefragten und wieder Gelächter.
»Und Ihr auch nicht, ehrwürdige Mutter?« Rascher Rückzug der verlegenen Nonnen und verhaltenes Gekicher hier und da.
»So schwer ist das gar nicht«, erklärte Pietro. Unsicheres Schweigen.
»Man muss eben nur das Geheimnis kennen. Ich habe dies alles von meinem Meister gelernt. In einer Minute!« Ungläubiges Gemurmel, vereinzelte Schmähungen.
»Ihr glaubt es nicht? Ich kann es euch beweisen!«
Ich wusste natürlich längst, was jetzt kommen würde: Sein Blick schweifte über die Menge, zögerte hier, verharrte dort und blieb schließlich – wer hätte es gedacht? – an mir hängen.
»Du, Junge! Komm du her! Du siehst zwar nicht gerade besonders klug aus …«
Dafür würde er einen Tritt vors Schienbein kassieren, später. Im Augenblick guckte ich betroffen drein, sperrte mich ausgiebig und ließ mich schließlich doch nach vorne ziehen.
»Mir entkommt keiner«, krähte Pietro. »Nicht wenn ich mich erst einmal entschieden habe! Und ich finde todsicher immer den größten Tropf heraus!« Gelächter. Oh, warte nur! Zwei Tritte, einen links und einen rechts.
»Versuch es mal, Junge, nur Mut, nur Mut!«
Ich zierte mich gebührend.
»Ach, komm. Die Bälle beißen nicht!«
Er machte es noch einmal vor.
»Ist er nicht goldig? Ganz rote Ohren!«
Und einen Tritt in den Arsch!
Ich versuchte es endlich. So dumm wie ich hat sich gewiss noch nie einer angestellt. Die Menge war begeistert. Und jetzt kam der Trick!
»Na, ja. So geht es natürlich nicht. Komm noch mal her!«
Mit geheimnisvoller Miene und einigem Getue holte Pietro einen Stein hervor.
»Hier, liebe Leute, habe ich etwas, das ihr noch nie gesehen habt. Bitte sehr! Ich verrate euch ein ganz geheimes Geheimnis, behaltet es für euch! Das hier ist nämlich ein ganz besonderer Stein!«
Ich kannte das Ding. Es war ein gewöhnlicher bunter
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