Tanz der Dämonen
Nabor beugte sich über mich und rief: »Du hättest die Wahrheit nicht finden dürfen! Niemand darf wissen, dass du mein Kind bist! Verflucht sei der Tag deiner Geburt!« Dann schreckte ich jedes Mal auf und schüttelte den Kopf über so viel Narrheit. Aber wenn es doch so war?
ELATEN
Ungewisses Wetter«, sagte Herr Lennart und blickte zu den Wolken. Wir traten vor das Haus und nahmen zunächst einen Weg im Innern der Stadtmauer. Herr Lennart hatte noch eine Erledigung bei der Kirche St. Aposteln zu tätigen. Er stellte vor einem Heiligenbild eine Kerze auf. Ich wartete respektvoll im Hintergrund. Dann passierten wir das Hahnentor. Langsam kannte ich mich recht gut aus in Köln.
»Es wird ein Segen sein, wenn die Unruhe aus der Stadt ist«, sagte Herr Lennart. »Der Kaiser, der König, der Hofstaat, all diese vermaledeiten Spanier und Italiener, die Pilger und die Neugierigen und all das zwielichtige Volk … äh … verzeih bitte, ich meine …«
»Ihr meint zwielichtiges Volk«, sagte ich, fast ohne Ärger.
Vor uns breitete sich eine weite, leicht gewellte Landschaft aus, teils bedeckt mit einer fadenscheinigen Decke von schmutzigem Schnee. Hier und da wuchs struppiges Buschwerk, aber nirgends hatte man es so dicht werden lassen, dass es den Verteidigungszweck behindern konnte.
Ich blickte mich um. Die Stadt war in Dunst gehüllt, und ihre einzelnen Gebäude verschmolzen zu einer gedrängten, düsteren Masse.
»Hast du Träume gehabt diese Nacht?«, fragte Herr Lennart unvermittelt.
»Nein«, log ich und fügte hinzu: »Es ist mir lieber so. Wenn ich Träume habe, sind sie meistens so, dass sie mir Angst machen.«
»Ich träume nie«, sagte er. »Sind deine Träume ähnlich wie diese – Gesichte, die du manchmal hast?« Ich wusste, worauf er hinauswollte.
»Nein, diese Gesichte sind deutlicher.«
»Du siehst alle Einzelheiten?«
»Manchmal mehr und manchmal weniger«, sagte ich vorsichtig.
»Und als du mich sahst … Erinnerst du dich jetzt besser daran? Hast du zum Beispiel gesehen, wie ich gekleidet war?«
Ich werde ihm jetzt etwas bieten müssen, dachte ich. Was mag er hören wollen? Dann entsann ich mich gewisser Einzelheiten aus einem Gespräch mit Bär, Knaller und Zunge. »Eine Robe war es wohl. Rot und schwarz. Und ein Barett.«
»Und ein Stab? Wie? Auch ein Stab? Sag schon!«
»Ja, ich glaube jedoch, den trugt Ihr nicht selbst, sondern ein Diener.«
»Vielleicht ein Page?«
»Das könnte sein.«
Er fiel in ein nachdenkliches Schweigen. Das waren Amtstracht und Eskorte eines Bürgermeisters von Köln. Ihr wollt hoch hinaus!, dachte ich. Ob er diesen Köder schlucken würde? Vielleicht hatte ich doch zu dick aufgetragen! Ich habe es nie erfahren. Ich hörte nur das Geräusch unserer Schritte und fernes Krähengeschrei.
Nach einiger Zeit wies Herr Lennart voraus. »Die Richtstätte!«, rief er. »Ohne sie ist keine Ordnung in der Welt!«
Da lag ein flacher Hügel, scharf abgegrenzt gegen den grauen Himmel, auf dem erhoben sich düster wirkende Balkengerüste und eine Art hölzerner Tribüne wie für eine Theateraufführung: Galgen und Schafott, die Bühne des Scharfrichters.
»Man kann es nicht anders sagen: Die Justiz unserer Stadt ist milde. Gar zu milde vielleicht! Es wird maßvoll geurteilt, und die Tortur kommt nur selten zur Anwendung.«
»Mit meinen Freunden ist man nicht gerade schonend umgegangen«, wandte ich ein. »Und erst Anselmus …«
»Es hat alles seine Ordnung«, sagte er. »In deinem Fall freilich … Nun, das war etwas anderes.«
»Pater Nabor …«
»Er hat Dinge veranlasst, nun ja, die nicht nach den Regeln waren. Er hat von früher großen Einfluss und glaubt, eigene Wege gehen zukönnen. Aber schließlich ist dir nichts geschehen, nicht wahr? Es gibt nicht einmal eine Notiz im Turmbuch oder einen Verhaftungsbefehl. Vergiss das alles.«
Das müsste einer können!
»Habe ich also keinen Grund, ihn weiter zu fürchten?«
»Geh ihm aus dem Wege. Das wird ausreichen.«
»Wie kann denn einer wie er überhaupt Einfluss nehmen, wenn die Gerichtsbarkeit der Stadt doch selbständig ist?«
»Das alles ist sehr kompliziert. Es gibt vielerlei Gerichte mit eigenen Zuständigkeiten. Verbrechen in der Stadt ahndet vornehmlich das Gewaltgericht des Rats, für das ich tätig bin. Aber es gibt auch noch das Hochgericht des Erzbischofs und dann natürlich den Blutbann! Dem Gewaltgericht steht es nicht zu, die Todesstrafe zu verhängen. Wenn es allerdings um
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