Tanz der Engel
»Und schon gar nicht das hier !« Die Musik klang eindeutig nach Menuett.
»Trau dich«, machte Christopher mir Mut, während er meine Hand festhielt, damit ich nicht fliehen konnte. »Niemand wird dich von der Tanzfläche verbannen, nur weil du einen falschen Schritt machst.«
Mein Lächeln war nicht echt – gut, dass Christopher nur meine Augen sehen konnte.
»Nur einen Tanz. Dann hast du bewiesen, dass du nicht vor mir flüchtest«, flüsterte er und drückte kurz meine Hand, um mich aufzumuntern.
Obwohl ich mich bemühte, tanzte ich mehr als einmal aus der Reihe. Christophers liebevoller Blick half mir, durchzuhalten. Wir waren Racheengel. Jeder sollte sehen, dass wir uns liebten. Ich stimmte zwei weiteren Tänzen zu. Mal wieder stand ich im Mittelpunkt – hoffentlich blieb das nicht so. Aber mit einem Kleid wie meinem und einem aufsehenerregenden Engel wie Christopher war es leicht, die Attraktion des Maskenballs zu sein. Christopher hatte ganz sicher nicht zufällig ein rotes Kleid für mich ausgesucht. Er wollte zeigen, dass wir – entgegen jeder Vernunft – zusammengehörten. Als die Musik endete, schmiegte ich mich an ihn. Er hielt mich noch fest, als sie wieder einsetzte.
Eine behandschuhte Hand legte sich auf meine Schulter. Lindgrüne Augen hefteten sich auf meine.
Ich kann verstehen, dass du nach den anstrengenden Prüfungen müde bist. Aber auf meinem Ball wird getanzt, nicht herumgestanden. Setz dich und ruh dich aus – oder besser, geh schlafen! Hiermit entbinde ich dich deiner Pflicht, dem Maskenball beizuwohnen. Kein Wort kam aus ihrem Mund. Sie hatte direkt in meinen Verstand gesprochen, so dass niemand etwas hören konnte.
Während sie sich Christopher mit einem »Du erlaubst« schnappte, umfasste einer ihrer Lakaien meine Taille und bugsierte mich von der Tanzfläche. Doch anstatt mich aus dem Ballsaal zu führen, steuerte der prächtige Engel in Weiß mit der goldenen Schnabelmaske und dem gefiederten Kopfschmuck auf eine Dreiergruppe zu, die uns entgegenkam.
Ein ansehnlich gekleideter, ziemlich großer Mann in dunklem Rot, ein Mädchen, in etwa so groß wie ich, in einem grünschwarzen Kleid mit einem passenden Hut aus Federn und Schleiern, und ein schlaksiger, in einen schwarzen Umhang mitrotbesetztem Samtkragen gekleideter Junge mit Schnabelmaske, der aussah, als hätte man ihn verkleidet.
Keine Sekunde später stand Christopher vor uns. Seine Augen funkelten unheilverkündend. Er hatte das Oberhaupt der Engel mitten auf der Tanzfläche stehenlassen, um mich zurückzuholen. Sein Arm legte sich besitzergreifend um meine Taille. Er würde für mich durchs Feuer gehen – genauso wie ich für ihn.
»Lass deine Finger von ihr!«, zischte Christopher drohend, bevor er mich aus der Reichweite des weißen Engels brachte.
Der Engel blickte mir nach. Seine royalblauen Augen waren begehrlich auf mich gerichtet, während er dem verkleideten Jungen mit der weißen Pestmaske auf die Schulter tippte und in meine Richtung zeigte.
Dunkelbraune, überraschte Augen begegneten meinen. Ich drehte mich weg und suchte Schutz in Christophers Armen. Sanctifers Stärke lag in der Täuschung. Es gab viele, deren Augen ebenholzfarbene Sprenkel hatten wie die von Philippe.
Ausblick auf den dritten Band
Fluch der Engel
(Erscheint im September 2013)
B estimmt schon zum zwanzigsten Mal warf ich einen Blick zurück, nur um sicherzugehen, dass ich auch wirklich nicht verfolgt wurde. Aron, mein Tutor, wäre wieder in seinen Bodyguard-Modus verfallen, wenn er gewusst hätte, wohin ich unterwegs war. Und Christopher? Er wäre ausgerastet, hätte sich in seine zumindest für mich so wunderschöne Racheengelgestalt verwandelt und mir mit seinen leuchtenden Engelschwingen den Weg versperrt – vielleicht auch mit seinem Schwert, was ich dann vermutlich weniger schön gefunden hätte. Aber ihn einweihen und von dem Brief erzählen ging nicht – zumindest vorerst nicht.
Ein Schatten huschte an der gegenüber des Kanals liegenden Hauswand vorbei. So schnell, als besäße ich einen Reflex fürs Verstecken, verdrückte ich mich in der nächstbesten Nische. Eigentlich völliger Quatsch, mit dem schwarzen Casanova-Umhang und der weißen Pestmaske würde mich sowieso niemand erkennen. Auch hier, im verborgenen Venedig, der Metropole der Engel, war Karneval.
Lautlos glitt die schwarze Gondel an meinem Versteck vorüber. Nur das Eintauchen des Ruders war zu hören und das sanfte Plätschern der Wellen, die gegen die
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