Tanz der Engel
, redete ich mir ein, doch je näher sie kamen, umso unsicherer wurde ich. Was, wenn ich mich täuschte? Wenn sie gar nicht so harmlos waren? Immerhin hatten sie es geschafft, Raffael zu verletzen.
Meine Hände wurden feucht. Ich wischte sie an meiner Jeans ab und umklammerte den Dolch fester. Er war meine einzige Waffe. Er durfte mir nicht aus der Hand rutschen.
Mein erster Hieb traf. Mit einem ohrenbetäubenden Schrei verwandelte sich das Geschöpf, das seine Klauen in meine Flügel schlagen wollte, in ein hübsches kleines Flämmchen. Es war tatsächlich nur ein Irrlicht.
Ich kämpfte mit äußerster Konzentration. Einen Fehlhieb konnte ich mir nicht leisten. Dass ich verletzt wurde, auch nicht. Meine Kraftreserven neigten sich dem Ende zu. Und obwohl ich schon so viele Irrlichter vertrieben hatte, schien ihre Zahl kaum abzunehmen. Ich ließ mich in Richtung Chor treiben. Die halbrunde Wand bot meinen Flügeln ein wenig Schutz. Trotz meiner eingeschränkten Bewegungsfreiheit ging meine Rechnung auf.
Als das letzte Irrlicht in einer der dunklen Fensteröffnungen verschwand, war meine Energie erschöpft. Ich brach nur nicht schluchzend zusammen, weil gerade die Decke über mir aufriss.
Das Poltern der Steine, die sich aus dem Deckenverband lösten, hallte bedrohlich laut durch das Kirchenschiff. Als stürze die Welt über mir zusammen, fiel ein Stein nach dem anderen krachend herab und landete keine paar Meter entfernt von meinen Füßen, mitten im Halbrund des Chors. Ich hielt mir die Ohren zu, bis der letzte Stein seinen Platz gefunden hatte. Ein helles, blaues Loch klaffte in der Decke. Ich konnte den Himmel sehen und eine Treppe aus Stein, die nach oben führte. Raffael humpelte bereits darauf zu.
Mein Herz hörte für einen Moment auf zu schlagen, als ich die erste Staubflocke entdeckte. Dämonenstaub! Raffael lief mitten hinein in den für Menschen tödlichen Niederschlag.
Alles in mir schmerzte. Meine Flügel schleiften wie abgestorben hinter mir her. Trotzdem rannte ich weiter und erreichtegleichzeitig mit Raffael den Fuß der Treppe. Meine Angst, er müsse meinetwegen sterben, verlieh mir ungeahnte Schnelligkeit.
Ich riss ihn zu Boden und breitete meine Flügel über ihn, bevor die Flocken seine Haut berühren konnten. Dass Dämonenstaub auch für mich nicht ungefährlich war, lernte ich erst jetzt.
Wie ein Regen aus Säure fraßen sich die Staubpartikel durch das empfindliche Gespinst meiner Flügel auf der Suche nach meiner Schattenseite. Alles in mir drängte, Schutz zu suchen, um dem Schmerz, der das Böse in mir erweckte, zu entkommen – doch damit hätte ich Raffaels Leben beendet. Und obwohl er mich belogen, betrogen und mehrfach verraten hatte, das konnte ich nicht! Also beschützte ich ihn vor dem ätzenden Staub, biss die Zähne zusammen und hoffte, dass es nachlassen würde, bevor ich zu einem Monster wurde.
Der Staubregen verschwand, das Gefühl, mein Körper stünde in Flammen, nicht. Ich schwankte, als ich an Raffaels Seite die Treppe emporlief. Er stützte mich. Es hätte andersherum sein müssen.
Die Treppe endete vor der Basilika, mitten auf dem Markusplatz. Eine Heerschar von Engeln umringte uns. Wir waren die Attraktion des Tages. Der zehnköpfige Engelsrat und sein Oberhaupt erwarteten uns. Raffael zückte den Zylinder mit der blauen Flamme. Sie erlosch. Ich hatte versagt. Verloren. Ob es wohl jemanden störte, wenn ich gleich hier zusammenklappte?
Ich fand Aron in der Menge. Er wirkte besorgt, aber nicht enttäuscht. War mein Versagen geplant? Die Prüfung eine Farce? Der Rat vor mir teilte sich. Sie erwarteten noch mehr von mir. Der Dämonendolch musste in Sicherheit gebracht werden. In die Basilika – wohin sonst?!
Kapitel 34
Im Kreis der Engel
Z itternd stand ich vor dem Portal der Markuskirche und krallte meine Hände um das Heft des Dolches, damit er mir nicht aus den Fingern glitt. Ich musste nicht nur die dämonische Waffe durch den mit heftiger Engelsmagie gesicherten Eingang bringen, sondern auch mich selbst. Beladen mit Dämonenstaub, kurz davor, ein Monster zu werden, und am Ende meiner Kräfte. Mein Scheitern würde beweisen, dass Sanctifer der bessere Lehrmeister war.
Ich schloss die Augen, als ich über die Schwelle trat. Niemand sollte meinen Schmerz und mein Entsetzen sehen, wenn die dämonische Macht mich überwältigte und ich zum Schattenengel wurde.
Blitze zuckten. Der Dolch stürzte klirrend zu Boden. Alles in mir zog sich zusammen. Ich krümmte
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