Tanz der Engel
mich vor Schmerz. Eine unfassbare Menge an Energie stob auseinander und durchlöcherte meine Haut. Wut brannte in meinen Adern, kroch meinen Hals empor. Ich schluckte die Säure, die ich auf meiner Zunge schmeckte, und biss mir auf die Lippen, um das unkontrollierte Zucken meiner Mundwinkel zu stoppen – sie suchte sich einen anderen Weg, kroch in meine Lungen und erschwerte mir das Atmen. Langsam wand sie sich weiter, meine Wirbelsäule entlang, bis sie meinen Verstand erreichte, um ihn zu benebeln, damit der Dämon hervorbrechen konnte.
»Lynn, komm zu uns.« Ich hörte Christophers Stimme. Samten, weich, voller Wärme. Sanctifer hatte mich betrogen, mit meiner größten Angst gespielt.
Mein Blick begegnete Christophers smaragdgrünen Augen. Vor Sorge waren sie dunkel, und dennoch leuchteten sie vor Stolz. Er stand mit fünf weiteren Engeln unter der höchsten Kuppel der Basilika und erwartete mich. Sie alle waren Racheengel. Schön wie Götter – und genauso gefährlich.
Ich wankte, als ich mich ihnen näherte. Meine Flügel schleiften hinter mir her. Meine Beine wollten den zusätzlichen Ballast nicht länger tragen – ich zwang sie dazu. Christophers Augen zogen mich zu ihm, halfen mir, den schwarzen Altar in ihrer Mitte zu erreichen und den Dolch darauf abzulegen. Ich wäre gefallen, wenn nicht eine Hand meinen Sturz abgefangen hätte. Goldfarbene Augen funkelten unter der weißen Maske.
»Schön, dich wiederzusehen, kleiner Engel. Du hast nicht den leichtesten Weg gewählt und hast es dennoch geschafft.«
Er reichte mich weiter an den neben ihm stehenden Engel. Jedes Mal hüllte mich ein anderer Duft ein, bis ich den erreichte, der für mich alles bedeutete. Warmer Sommerregen kühlte mein brennendes Wesen, neutralisierte den Dämonenstaub und linderte den tobenden Schmerz. Christopher. Es ging ihm gut. Er war frei – und ich bei ihm.
Die Racheengel blieben in der Basilika und beobachteten, wie ich allein den Weg nach draußen fand. Die Engelsmagie riss auch dieses Mal an meinen Kräften, doch ich hielt ihr stand. Christophers Gegenwart stärkte mich.
Aron erwartete mich, nicht Sanctifer. Ich war durch die Schutzengelprüfungen gefallen, aber nicht durch die der Racheengel – und nur das zählte. Schließlich war ich kein Schutzengel.
Aron führte mich durch die sich teilende Menge in das Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite der Piazetta. Er stützte mich – heimlich –, indem er seinen Arm unter den Ansatz meiner Flügel legte und so den größten Teil ihres Gewichts abfing. Erst als die Tür hinter uns zufiel und niemand uns sehen konnte,schnappte er meine Beine und trug mich über eine breite, geschwungene Treppe in ein helles, freundliches Zimmer mit einem riesigen Wolkenwattebett, von dem aus ich das Meer sehen konnte. Ich schaffte es keine zwei Sekunden, die Augen offen zu halten, als meine angeschlagenen Flügel in dem himmlisch weichen Untergrund versanken.
Weiche Samtlippen küssten meine Stirn. Christophers Sommergewitterduft hüllte mich ein.
»Schlaf weiter. Ich wollte dich nicht wecken, nur ansehen«, flüsterte er und strich mir dabei über die Augenlider, so dass ich sofort wieder wegdämmerte – bis er kaum hörbar so etwas wie »kleiner Engel« grummelte.
Blitzschnell war ich hellwach. Kleiner Engel hatte Christopher mich noch nie genannt.
»Muss ich … eifersüchtig sein?« Ein angespannter Unterton lag in Christophers Frage.
»Auf einen Engel, der seine Klauen in meine Oberarme bohrt?«
Christopher schwieg. Zu spät fiel mir ein, dass auch er etwas Ähnliches getan hatte, als er mir beibrachte, die Energie in meinen Flügeln aufzuspüren. Er rückte ein Stück von mir ab. Ich ließ es zu. Obwohl ich kaum noch Schmerzen hatte, fühlte ich mich nicht stark genug, einen Racheengel zurückzuhalten. Doch später, wenn ich die Erlebnisse des Tages verarbeitet hatte, würde ich um ihn kämpfen – falls es das war, was er wollte.
Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich verbarg sie hinter meinen Lidern. Es gab nichts, das ich mir sehnlicher wünschte, als von Christopher festgehalten und vor der Welt der Engel beschützt zu werden. Auch wenn ich den ersten Schritt zum Racheengel vollzogen hatte, sicher fühlte ich mich nicht.
Christophers Hände fanden mein Gesicht, strichen vorsichtig meine Wangen entlang. Ein Kuss streifte meinen Mund. WarmeLippen verharrten für einen endlos schönen Moment und zogen sich zurück, ehe das Schwindelgefühl mich
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