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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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er dieses Zimmer je wieder würde benutzen können. Er starrte aus dem Fenster auf den Rand des Verandadachs, erinnerte sich an die schimmernd aufscheinende Antha, die dort gestanden und Lasher zu sich hinausgewinkt hatte. »Laßt die Toten Zeugen werden«, wisperte er. »Das hast du allerdings getan.«
    Langsam ging er die Treppe hinunter und blieb jäh und erschrocken stehen, ehe er genau wußte, warum. Was war das für ein Geräusch? Er hielt das Grammophon mit den Platten im Arm, aber jetzt stellte er es sorgfältig beiseite.
    Da weinte eine Frau oder war es ein Kind? Es war ein leises, verzweifeltes Weinen. Und es war nicht die Krankenschwester, denn die würde noch stundenlang wegbleiben. Nein. Aber das Weinen kam aus Rowans Zimmer.
    Er wagte nicht zu hoffen, daß es Rowan sein könnte! Er wagte es nicht, und er wußte außerdem genau, daß es nicht Rowans Stimme war.
    »O meine Liebste«, sagte die weinende Stimme, »meine Allerliebste, ich liebe dich so sehr. Ja, trink nur, trink die Milch, nimm sie, oh, arme Mutter, arme allerliebste Mutter.«
    Sein Verstand fand keine Erklärung; er war leer und verbraucht vor lautloser Angst. Er ging die Treppe hinunter, vorsichtig, ohne ein Geräusch zu machen, bog um die Ecke und spähte durch die Schlafzimmertür. Ein hochgewachsenes Mädchen saß auf der Bettkante, ein langes, gertenschlankes Ding, groß und schmal, wie Lasher es gewesen war. Rötlichgoldene Locken fielen ihr über den anmutig gestreckten Rücken. Es war das Mädchen, das er unten auf der Straße gesehen hatte! Das Mädchen hielt Rowan in den Armen. Rowan, die aufrecht saß und sich an sie klammerte, tatsächlich an sie klammerte, und an der nackten rechten Brust des Mädchens trank.
    »Recht so, liebste Mutter, trink nur, ja«, sagte das Mädchen, und die Tränen tropften ihr aus den großen grünen Augen und rollten über ihre Wangen. »Ja, Mutter, trink, oh, es tut weh, aber trink! Es ist unsere Milch. Unsere starke Milch.« Und das Riesenmädchen lehnte sich zurück, schüttelte ihr Haar und reichte Rowan die linke Brust. Rowan trank in blinder Hast, und ihre linke Hand hob sich tastend, als wolle sie nach dem Kopf des Mädchens fassen.
    Das Mädchen sah ihn. Ihre tränennassen Augen öffneten sich weit. Genau wie Lashers Augen, so groß und rund! Ihr Gesicht war ein vollkommenes Oval, ihr Mund ein Engelsmund.
    Rowan machte ein ersticktes Geräusch, und plötzlich streckte sich ihr Rücken, und ihre Hand krallte sich in das Haar des Mädchens. Sie löste sich von der Brust, und aus ihrem Mund drang ein lauter, schrecklicher Schrei.
    »Michael, Michael, Michael!«
    Rowan wich gegen das Kopfende des Bettes zurück, zog die Knie hoch und deutete mit starrem Blick auf das Mädchen, das aufgesprungen war und die Hände an die Ohren drückte.
    »Michael!«
    Das große, dünne Mädchen weinte. Ihr Gesicht legte sich in Falten wie das eines Säuglings, und sie preßte die großen grünen Augen zu. »Nein, Mutter, nein.« Lange weiße Spinnenfinger bedeckten die bleiche Stirn und den nassen, bebenden Mund. »Mutter, nein!«
    »Michael, töte es!« kreischte Rowan. »Töte es. Michael, mach Schluß damit!«
    Das Mädchen taumelte schluchzend rückwärts gegen die Wand. »Mutter, Mutter, nein…«
    »Bring es um!« brüllte Rowan.
    »Ich kann nicht!« schrie Michael. »Ich kann es nicht umbringen. Um der Liebe Gottes willen…«
    »Dann tu ich es.« Sie griff nach dem Revolver auf dem Nachttisch, hielt ihn mit beiden zitternden Händen umklammert und drückte mit zusammengepreßten Augen ab. Drei Kugeln schoß sie dem Mädchen ins Gesicht. Das Zimmer stank nach Rauch und Verbranntem.
    Das Gesicht des Mädchens flog auseinander. Blut quoll hervor wie aus zerbrochenem Porzellan – eine blutende, zerschmetterte ovale Maske.
    Der lange, schlanke Körper sackte zusammen, fiel schwer und dumpf zu Boden, und das Haar breitete sich auf dem Teppich aus.
    Rowan ließ den Revolver fallen. Sie schluchzte, wie das Mädchen geschluchzt hatte, und sie drückte die linke Hand an den Mund, um das Schluchzen zu ersticken, während sie aus dem Bett rutschte, auf zittrigen Beinen dastand und haltsuchend nach dem Bettpfosten griff.
    »Mach die Tür zu«, sagte sie mit rauher, erstickter Stimme. Ihre Schultern hoben und senkten sich. Es sah aus, als werde sie gleich zusammenbrechen.
    Aber sie stolperte vorwärts; ihr ganzer Körper bebte vor Anstrengung, und dann sank sie neben der Leiche des Mädchens auf die Knie.
    »O Emaleth,

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