Tanz der seligen Geister (German Edition)
nicht, um meinen Vater zu rufen oder zu warnen. Der Mann kreuzte ein Stück vor mir meinen Weg und ging weiter zum Fluss hinunter. Die Menschen sagen, Furcht hätte sie gelähmt, aber ich war wie versteinert, wie vom Blitz getroffen, und was mich getroffen hatte, fühlte sich nicht wie Furcht an, eher wie eine Erkenntnis. Ich war nicht überrascht. Der Anblick, der dich nicht überrascht, das, was du immer gewusst hast, und es kommt so natürlich daher, bewegt sich flink, geschickt und ohne Eile, als sei es einem Wunsch von dir entsprungen, einer Hoffnung auf etwas Endgültiges, Schreckliches. Mein ganzes Leben lang hatte ich gewusst, dass es solch einen Mann gab und dass er hinter Türen lauerte, um die Ecke am Ende des langen, dunklen Korridors. Jetzt sah ich ihn und wartete nur, wie ein Kind auf einem alten Negativ, an einen dunklen Mittagshimmel gebannt, mit flammenden Haaren und ausgebrannten Kulleraugen. Der Mann glitt durch die Büsche hinunter zu meinem Vater. Und ich dachte keinen Augenblick lang an irgendetwas anderes – erhoffte nicht einmal etwas anderes – als das Schlimmste.
Mein Vater war ahnungslos. Als er sich aufrichtete, war der Mann keinen Meter weit von ihm entfernt und verdeckte ihn. Einen Augenblick später hörte ich die Stimme meines Vaters, leise und nachbarlich.
»Hallo, Joe. Tja, Joe, hab dich ja lange nicht mehr gesehen.«
Der Mann sagte kein Wort, sondern trat näher an meinen Vater heran und musterte ihn. »Joe, du kennst mich doch«, redete mein Vater auf ihn ein. »Ben Jordan. Ich bin unterwegs, um nach meinen Fallen zu sehen. Gibt dieses Jahr viele gute Ratten im Fluss, Joe.«
Der Mann warf einen raschen, misstrauischen Blick auf die Falle, die mein Vater mit frischen Ködern versehen hatte.
»Du solltest selber ein paar Fallen aufstellen.«
Keine Antwort. Der Mann nahm seine Streitaxt und hieb leicht in die Luft.
»Ist aber dies Jahr zu spät. Der Fluss sinkt schon wieder.«
»Ben Jordan«, stieß der Mann unter großer Anstrengung hervor, wie jemand, der sein Stottern bezwingt.
»Dachte ich mir doch, dass du mich erkennst, Joe.«
»Wusste nicht, dass du’s bist, Ben. Dachte, es ist einer von den Silas-Brüdern.«
»Ich hab dir doch gesagt, ich bin’s.«
»Die kommen andauernd her, fällen meine Bäume und reißen meine Zäune nieder. Du weißt ja, die haben mein Haus niedergebrannt, Ben. Die waren das.«
»Hab davon gehört«, sagte mein Vater.
»Wusste nicht, dass du’s bist, Ben. Hab ich nicht gewusst. Ich hab diese Axt, ich nehme sie immer mit, um denen ein bisschen Angst zu machen. Ich hätt sie dagelassen, wenn ich gewusst hätte, dass du’s bist. Komm mit rauf und schau dir an, wo ich jetzt wohne.«
Mein Vater rief mich. »Ich hab heute meine Kleine mit dabei.«
»Na, dann kommt beide rauf und wärmt euch auf.«
Wir folgten dem Mann, der immer noch seine Axt trug und sie achtlos schwang, die Böschung hinauf in den Wald. Die Bäume kühlten die Luft, und unter ihnen lag richtiger Schnee, vom Winter übrig geblieben, ein, zwei Fuß tief. Die Baumstämme hatten ringsum einen seltsamen dunklen Fleck, wie von der Wärme, die man mit dem Atem schafft.
Wir gelangten auf eine Wiese mit abgestorbenem Gras und folgten einem Trampelpfad quer darüber zu einer weiteren, größeren Wiese, auf der etwas aus dem Boden ragte. Es war ein Dach, nur mit einer Schräge, ohne Giebel, aus dem ein Rohr mit einer Kappe darauf ragte und Rauch ausstieß. Wir stiegen eine Treppe hinunter, wie sie in einen Keller führt, und genau dahin führte sie auch – in einen Keller mit einem Dach darauf. Mein Vater sagte: »Das hast du dir ja ganz schön zurechtgemacht, Joe.«
»Es ist warm. So im Boden drin ist es von Natur aus warm. Ich dachte, was hat es für einen Sinn, wieder einHaus zu bauen, sie haben’s schon einmal niedergebrannt, sie werden’s wieder niederbrennen. Wozu brauche ich überhaupt ein Haus? Ich hab hier alles, was ich brauche, ich hab’s mir gemütlich gemacht.« Er öffnete die Tür am Fuß der Treppe. »Stoß dir nicht den Kopf. Ich sage nicht, alle sollen in Erdlöchern hausen, Ben. Obwohl Tiere es tun, und was ein Tier tut, das ist eigentlich immer sinnvoll. Aber wenn du verheiratet bist, dann ist das was anderes.« Er lachte. »Aber ich hab keine Heiratspläne.«
Es war nicht völlig dunkel. Die alten Kellerfenster waren noch da und ließen ein wenig trübes Licht ein. Der Mann zündete trotzdem eine Petroleumlampe an und stellte sie auf den
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