Tanz der seligen Geister (German Edition)
Getränkeabfüllfabrik, einige neue Häuser im Ranch-Stil und eine Eisdiele gibt.) Dann parkte ich das Auto in einem Fleckchen Schatten vor dem Haus, in dem ich früher gelebt hatte. Meine kleine Tochter, die Margaret heißt, fragte neutral, aber ein wenig ungläubig: »Mutter, ist das dein Haus?«
Und ich meinte, in der Stimme meiner Tochter eine vielschichtige Enttäuschung zu hören – mit der sie sich typischerweise abzufinden schien, sogar im Voraus; es fand sich darin all die ernüchternde Befremdung des Augenblicks, in dem sich der Vorhang vor dem Ursprungsort der Legenden auftut, vor der unbefriedigenden, bescheidenen und unwiderlegbaren Wirklichkeit. Die Ziegelsteine, aus denen das Haus erbaut ist, sahen in der Sonne rauh und heiß aus und zeigten an zwei oder drei Stellen lange, verzerrte Risse; die Veranda, die immer wie eine dürftige Verzierung gewirkt hatte, zerfiel sichtlich. Neben der Haustür war – ist – ein kleines Fenster aus buntem Glas. Ich saß da und betrachtete es mit einem ratlosen Mangel an emotionalem Wiedererkennen. Ich sah das Haus an, und die Rouleaus an den Fenstern bewegten sich nicht, die Tür flog nicht auf, niemand kam auf die Veranda heraus; es war niemand da. So hatte ich es erwartet, da Maddy jetzt im Büro des Stadtdirektors arbeitet, dennoch war ich überrascht, wie verlassen, kahl und heruntergekommen das Haus aussah, nur weil sich gerade niemand darin aufhielt. Und während ich durch den Vorgarten ging, wurde mir bewusst, dass ich nach all den Sommern an der Küste die ungeheure Inlandhitze vergessen hatte, die einem das Gefühl gibt, man müsse den ganzen brennenden Himmel auf dem Kopf tragen.
Ein Zettel an der Haustür verkündete in Maddys schlampiger und ausladender Handschrift: besucher willkommen , kinder gratis , eintrittsgeld verhandelbar ( nur zu ihrem nachteil ), hereinspaziert . Auf dem Tisch in der Diele stand ein Strauß rosa Phlox, dessen samtiger Duft die heiße Luft des Sommernachmittags im ganzen Haus füllte. »Die Treppe hoch!«, sagte ich zu den Kindern, nahm das Mädchen bei der Hand und auch ihren kleinen Bruder, der im Auto geschlafen hatte und sich beim Gehen jammernd an mich drückte. Ich hatte schon einen Fuß auf die unterste Stufe gesetzt, doch dann blieb ich stehen und begrüßte unsentimental das Spiegelbild einer dünnen, gebräunten, ständig wachsamen Frau, erkennbar eine junge Mutter, deren zu einem Knoten auf ihrem Kopf zusammengestecktes Haar eine nicht mehr mit weichem Fleisch gepolsterte Kieferpartie freigab und deren brauner Hals ein wenig angespannt zwischen den kleinen spitzen Höckern des Schlüsselbeins aufragte – im selben Dielenspiegel, der mir beim letzten Blick hinein noch ein durchschnittlich hübsches Mädchen gezeigt hatte, mit einem Gesicht, so glatt und unempfindlich wie ein Apfel, ungeachtet all der Schrecknisse und Wirrnisse, die hinter ihm lagen.
Aber deswegen hatte ich mich nicht umgedreht; ich merkte, ich hatte darauf gewartet, dass meine Mutter mich rief, von ihrem Sofa im Esszimmer, wo sie beiheruntergezogenen Rouleaus in der Sommerhitze lag, Tee trank aus Tassen, in denen sie immer etwas übrig ließ, und eingewecktes Obst und Kuchenbröckchen zu sich nahm – wie ein krankes Kind hielt sie sich schon lange nicht mehr an die Essenszeiten. Ich meinte, nicht ins Haus kommen zu können, ohne die zerstörte Stimme meiner Mutter zu hören, die mir etwas zurief, woraufhin mich unweigerlich ein Gefühl der Schwere überkam, während ich mich dazu aufraffte, ihr zu antworten. Die mir zurief: Wer ist da?
Ich führte meine Kinder in das große Schlafzimmer im hinteren Teil des Hauses, in dem früher Maddy und ich schliefen. Es hat dünne, fadenscheinige weiße Vorhänge an den Fenstern und ein Stück Linoleum auf dem Fußboden; es steht ein Doppelbett darin, ein Waschtisch, an dem wir immer unsere Schularbeiten machten, und ein Schrank aus Pappkarton, an dessen Türen innen kleine Spiegel sind. Während ich mit meinen Kindern redete, dachte ich – jedoch allmählich, nicht in einem Sturzbach – an den Geisteszustand meiner Mutter, als sie ausrief: Wer ist da? Ich gestattete mir – als hätte ich es zuvor nie gewagt –, den Hilfeschrei zu hören, unverhohlen, oh so schamlos unverhohlen und rau und flehentlich, der in ihrer Stimme schwang. Ein Ruf, der so oft und, wie die Verhältnisse nun einmal waren, so nutzlos wiederholt wurde, dass Maddy und ich darin nur eines der Haushaltsgeräuscheerkannten, um
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