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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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das man sich kümmern musste, damit nicht Schlimmeres folgte. Geh du und kümmere dich um Mutter, sagten wir zueinander oder Ich komme gleich, ich muss mich nur rasch um Mutter kümmern.
    Es konnte sein, dass wir einige der alltäglichen und unangenehmen Dienste verrichten mussten, die endlos verlangt wurden, oder dass wir für eine fünfminütige, bewusst fröhliche Unterhaltung zu sorgen hatten, die so strikt belanglos war, dass es nie auch nur für einen Augenblick das Eingeständnis der wahren Sachlage, nie einen Hauch von Mitleid gab, um ja nicht den Weg frei zu machen für einen ihrer langen, entkräftenden Tränenausbrüche. Doch auch ohne das verweigerte Mitleid konnten die Tränen kommen, so dass wir geschlagen waren, gezwungen – um diesem Geräusch ein Ende zu machen – zu Parodien der Liebe. Aber wir wurden raffiniert und ließen es nie an kalter Fürsorge fehlen; wir nahmen ihr unseren Zorn, unsere Ungeduld und unseren Abscheu weg, entfernten alle Gefühle aus unserem Umgang mit ihr, wie man einem Gefangenen fleischliche Nahrung entzieht, um ihn zu schwächen, bis er stirbt.
    Wir sagten ihr, sie solle doch lesen oder Musik hören, den Wechsel der Jahreszeiten genießen und dankbar sein, dass sie keinen Krebs hatte. Wir fügten hinzu, dass sie keine Schmerzen litt, und das stimmte – falls Einkerkerung kein Schmerz ist. Während sie auf jedenur erdenkliche Art unsere Liebe einforderte, ohne Scham oder Vernunft, wie ein Kind es tut. Und wie konnten wir sie lieben, sage ich verzweifelt zu mir selbst, unser Vorrat an Liebe reichte nicht, die Forderungen an uns waren zu groß. Außerdem hätte es nichts geändert.
    »Alles ist mir weggenommen worden«, sagte sie immer. Zu Fremden, zu Freunden von uns, die wir immer von ihr fernhalten wollten, was uns nie gelang, zu alten Freundinnen von ihr, die sie selten und schuldbewusst besuchen kamen, sprach sie so, mit der schleppenden, traurigen Stimme, die weder verständlich noch ganz menschlich war; wir mussten übersetzen. Wir schämten uns fast zu Tode ob solcher Theatralik; aber jetzt denke ich, dass sie ohne diesen Egoismus, der sich hartnäckig sogar von Katastrophen nährte, womöglich rasch in ein dumpfes Dahinvegetieren gesunken wäre. Sie hielt sich so weit in der Welt, wie sie konnte, ohne sich darum zu scheren, ob sie noch willkommen war; ruhelos lief sie durchs Haus und durch die Straßen von Jubilee. Nein, sie resignierte nicht; in diesem Haus aus Stein muss sie (was ich mir vorstellen kann, aber nicht will) geweint und gekämpft haben bis zuallerletzt.
    Aber ich finde, das Bild ist noch nicht vollständig. Unsere Horrormutter mit der kalten, erschreckenden Maske der Schüttellähmung auf dem Gesicht, die weint, ständig und überall nach Zuwendung giert, dietoten, brennenden Augen ins eigene Innere gerichtet, das ist nicht alles. Denn der Verlauf dieser Krankheit ist langsam und unberechenbar; es gibt Tage (die nach und nach seltener werden), da wacht sie morgens auf und fühlt sich besser; sie geht in den Garten und richtet auf ganz einfache, hausfrauliche Art eine Pflanze auf; sie sagt ruhig und klar etwas zu uns; sie hört sich aufmerksam die Nachrichten an. Sie ist aus einem bösen Traum erwacht; sie versucht, die verlorene Zeit wettzumachen, putzt das Haus und zwingt ihre steifen, zitternden Hände dazu, eine kleine Weile lang an der Nähmaschine zu arbeiten. Sie bereitet uns eine ihrer Spezialitäten zu, einen Bananenkuchen oder eine Zitronenbaisertorte. Seit sie tot ist, habe ich hin und wieder Träume von ihr (solange sie lebte, habe ich nie von ihr geträumt), in denen sie etwas Derartiges tut, und ich denke, warum habe ich so übertrieben, es geht ihr doch gut, nur ihre Hände zittern …
    Gegen Ende solcher Ruheperioden überkam sie dann eine gleichsam verheerende Energie; sie führte beharrliche Gespräche, die immer unzusammenhängender wurden; sie verlangte, dass wir ihr Rouge auf die Wangen taten und die Haare frisierten; manchmal ließ sie sogar eine Schneiderin kommen, die etwas für sie anfertigen sollte und im Esszimmer arbeitete, wo sie ihr zusehen konnte – sie verbrachte wieder mehr und mehr Zeit auf dem Sofa. Das war verschwenderisch, unter praktischen Gesichtspunkten unnötig (denn wofür brauchte sie diese Sachen, wann zog sie sie an?) und nervenaufreibend, weil die Schneiderin nicht verstand, was sie wollte, und wir manchmal auch nicht. Ich kann mich erinnern, dass ich nach meinem Weggang mehrere amüsante, verworrene

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