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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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mit ihren steifen, üppigen Tüllrüschen; sie strahlten eine bildhübsche, künstliche Unschuld aus. Alva war nicht neidisch; nein, das hattenichts mit ihr zu tun; das war ein Teil von Margarets Welt, dieses starre Muster aus Privatschule (kurze Jacken und lange schwarze Strümpfe), Hockey, Chor, Segeln im Sommer, Partys, Jungen, die Blazer trugen …
    »Wo wirst du sie tragen?«, fragte Alva.
    »Im Ojibway. Dem Hotel. Da gibt es an jedem Wochenende Tanzabende, alle fahren mit dem Boot hin. Freitagabend ist für Jugendliche, und Samstagabend ist für Eltern und andere … Das heißt, falls ich überhaupt hingehe«, sagte Margaret grimmig, »falls ich kein Mauerblümchen bin, wie die beiden Davis-Mädchen.«
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte Alva ein wenig herablassend. »Das wird schon gut.«
    »Ich mag eigentlich gar nicht tanzen«, sagte Margaret. »Jedenfalls nicht so gerne wie segeln. Aber man muss eben.«
    »Es wird dir schon gefallen«, sagte Alva. Es gab da also Tanzabende, alle fuhren mit dem Boot hin, sie sah sie abfahren und hörte sie nach Hause kommen. Wie sie es eigentlich hätte erwarten müssen …
    Margaret saß im Schneidersitz auf dem Fußboden, sah zu ihr mit offenem, unverstelltem Gesicht auf und fragte: »Meinst du, ich muss in diesem Sommer anfangen zu knutschen?«
    »Ja«, sagte Alva. » Ich würde es tun«, fügte sie fast mit Genugtuung hinzu. Margaret schaute ratlos drein;sie sagte: »Ich hab gehört, deshalb hat Scotty mich nicht über Ostern eingeladen …«
    Alva nahm kein Geräusch wahr, aber Margaret stand rasch auf. »Mutter kommt«, sagte sie, die Worte nur mit den Lippen formend, und fast sofort kam Mrs. Gannett ins Zimmer, lächelte mit viel Beherrschung und sagte: »Ach, Alva. Hier stecken Sie also.«
    Margaret sagte: »Ich habe ihr von der Insel erzählt, Mammi.«
    »Ah. Unten stehen schrecklich viele Gläser rum, Alva, vielleicht können Sie sie jetzt abspülen, dann sind sie aus dem Weg, wenn Sie sich ans Abendessen machen … Und Alva, haben Sie eine frische Schürze?«
    »Das gelbe ist viel zu eng, Mammi, ich hab’s anprobiert …«
    »Hör mal, Schatz, es hat keinen Sinn, schon all den Firlefanz rauszuholen, es ist noch eine Woche hin, bis wir fahren …«
    Alva ging hinunter, durchquerte den blauen Flur, hörte, wie Leute sich im Herrenzimmer ernsthaft und ein wenig betrunken unterhielten, und sah, wie die Tür des Nähzimmers leise von innen zugezogen wurde, als sie näher kam. Sie ging in die Küche. Sie dachte jetzt an die Insel. Eine ganze Insel, die deren Eigentum war; nichts in Sicht, was ihnen nicht gehörte. Die Felsen, die Sonne, die Kiefern und das tiefe,kalte Wasser der Bucht. Was würde sie dort machen, was taten die Dienstmädchen? Sie konnte baden gehen, zu ausgefallenen Stunden, konnte allein spazieren gehen, und manchmal – wenn sie einkaufen fuhren vielleicht – würde sie im Boot mitfahren. Dort würde es nicht so viel Arbeit geben wie hier, hatte Mrs. Gannett gesagt. Sie sagte, den Dienstmädchen hätte es immer gefallen. Alva dachte an die anderen Dienstmädchen, diese geschickteren, zuvorkommenderen jungen Frauen; hatte es ihnen wirklich gefallen? Welche Freiheit oder Zufriedenheit hatten sie gefunden, die sie nicht fand?
    Sie ließ Wasser ins Spülbecken laufen, holte den Abtropfständer wieder hervor und begann, die Gläser abzuwaschen. Ihr fehlte nichts, aber sie fühlte sich schwer, schwer von der Hitze, müde und gleichgültig, sie hörte ringsumher ein unbegreifliches, schwaches Geräusch – vom Leben anderer Menschen, von Booten und Autos und Tanzabenden – und sah diese Straße, jene verheißene Insel, im grellen, blendenden Licht einer unablässig scheinenden Sonne. Sie durfte hier nicht den geringsten Lärm machen, nicht die kleinste Delle.
    Sie musste daran denken, vor dem Abendessen hinaufzugehen und eine saubere Schürze umzubinden.
    Sie hörte die Tür aufgehen; jemand kam von der Terrasse herein. Es war Mrs. Gannetts Vetter.
    »Hier ist noch ein Glas für Sie«, sagte er. »Wo soll ich es hinstellen?«
    »Irgendwo«, sagte Alva.
    »Sagen Sie danke«, sagte Mrs. Gannetts Vetter, worauf Alva sich die Hände an der Schürze abwischte und sich umwandte, erst überrascht, und dann nach sehr kurzer Zeit nicht mehr überrascht. Sie wartete mit dem Rücken zur Anrichte, und Mrs. Gannetts Vetter umfasste sie leicht, wie in einem vertrauten Spiel, und küsste sie längere Zeit auf den Mund.
    »Sie hat mich für ein Wochenende

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