Tanz der Sterne - Unter dem Weltenbaum 03
tragt, und fertigt mir auch noch dazu passende Pfeile an, die Ihr mit Euren eigenen Federn ausstattet, Staffelführer. Und die färbt Ihr nach dem Blau meiner Augen!«
Schon legte sie den zweiten Pfeil gewandt auf, hob den Bogen, zielte und ließ das Geschoß von der Sehne schnellen. Diesmal traf es nicht nur das Ziel, sondern blieb auch darin stecken. Jeder im Saal konnte vernehmen, wie der Pfeil tief in die goldene Kugel eindrang.
»Jetzt gehört der Bogen mir«, verkündete Aschure in das allgemeine Schweigen hinein. »Ich glaube, er mag mich. Beim zweiten Schuß ließ er sich schon viel leichter handhaben.«
Dornfeder senkte den Blick, verbeugte sich tief vor ihr und breitete die Flügel zu einem weiten Halbkreis aus. Als er sich wieder aufrichtete, sah er die Menschenfrau feierlich an: »Der Wolfen sei Euer, Aschure. Ich werde Euch einen Köcher machen und ihn mit guten Pfeilen füllen, an denen meine eigenen Federn stecken. Ihr seid eine geborene Bogenschützin, und ich heiße Euch willkommen, wann immer Ihr mit meiner Staffel arbeiten wollt.«
»Ja«, entgegnete sie und betrachtete den gutaussehenden Ikarier wohlgefällig. »Ich würde mich gern mit Eurer Einheit und unter Eurem Kommando ausbilden lassen, Dornfeder.«
»Wenn die Zeit gekommen ist, dann sorgt dafür, durch den Wolfen den Tod zu bringen. Allein aus diesem Grund wurde er geschaffen.«
Später bestieg Aschure mit schmerzenden Brust-, Arm- und Rückenmuskeln die Leiter. Der Bogen, der ihr stolz über der Schulter hing, hatte sie doch gehörige Anstrengung gekostet. Aber bevor sie noch den Saal verlassen konnte, hielt Dornfeder sie am Arm fest. »Ihr habt doch öfter als andere Gelegenheit, mit Axis zu sprechen. Wann wird er sich endlich die Zeit nehmen und unserer Luftarmada einen Besuch abstatten?«
Die junge Frau drehte sich zu ihm um: »Das weiß ich leider nicht. Im Moment hat er viel zuviel damit zu tun, das Verhältnis zu seinem Vater zu klären. Und er will unbedingt herausfinden, welche Geheimnisse sich unter der Oberfläche seiner Zauberkünste befinden. Habt noch etwas Geduld, Dornfeder, er wird die Truppe bestimmt besuchen, sobald er Gelegenheit dazu findet.«
4 D EN S TERNENTANZ LERNEN
Morgenstern atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und wandte sich dann wieder Sternenströmer zu. Er war das Nesthäkchen gewesen. Morgenstern hatte schon fast vierhundert Jahre gezählt, als sie ihn bekommen hatte. Weil sie und ihr Mann Eilwolke nicht mehr mit Nachwuchs gerechnet hatten – und der Junge auch noch die Zauberfähigkeiten der Mutter geerbt hatte –, hatten die beiden ihn nach Kräften verwöhnt. Während sein älterer Bruder, Rabenhorst, schon von frühester Jugend streng dazu erzogen worden war, einmal den Mantel des Krallenfürsten umzulegen, des Führers aller Ikarier, hatte man dem viel jüngeren Sternenströmer so manches durchgehen lassen. Trotz aller Disziplinlosigkeit, seufzte Morgenstern, hatte der späte Nachkömmling aber einen Sohn zustandegebracht, der sich als letzte Hoffnung der Familie Sonnenflieger und vielleicht auch des gesamten Volks der Vogelmenschen erweisen sollte.
Sie warf einen Blick auf Axis, der still in einer Ecke der kleinen, schmucklosen Kammer auf einem Hocker saß, während sein Vater ungehalten vor ihm auf und ab ging. Seit seiner Ankunft im Krallenturm hatte der junge Mann viel und fleißig gelernt – und weitaus rascher begriffen, als Morgenstern und Sternenströmer ihm zugetraut hatten. Aber wer hätte sich schon vorstellen können, daß ein Zauberer, dessen Ausbildung dreißig Jahre lang nicht gefördert worden war, so schnell die komplizierten und verwickelten Geheimnisse des Sternentanzes erfassen würde?
Als sein Vater trug Sternenströmer natürlich die Hauptlast des Unterrichts. Morgenstern half ihm jedoch dabei, und das bildete den Kern der Mißhelligkeiten bei dieser Unterweisung. Ein junger Zauberer wurde für gewöhnlich von dem Elternteil ausgebildet, das selbst über solche Kräfte verfügte. Doch kam es durchaus vor, daß ein anderer Zauberer aus derselben Familie als Hilfslehrer auftrat. Je näher dieser und der Schüler sich verwandtschaftlich standen, desto besser. Und als seine Großmutter war Morgenstern nur zwei Generationen von Axis entfernt. Sie fanden also leicht Zugang zueinander, und außerdem wollte sie helfen.
Aber Sternenströmer, der seinen Sohn bis vor kurzem nie gesehen, ja nicht einmal von seiner Existenz gewußt hatte, wollte sein eigen Fleisch und Blut
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