Tanz der Sterne - Unter dem Weltenbaum 03
nun mit niemandem teilen, nicht einmal mit seiner Mutter. Das konnte Morgenstern durchaus verstehen, aber sie wußte auch, daß sie dem Enkel einige Dinge besser beibringen konnte als Sternenströmer.
Und genau daran hatte sich ihr jüngster Streit entzündet.
»Sternenströmer«, versuchte sie nun, vernünftig mit ihm zu reden, »Ihr seid sehr erfahren darin, die Macht des Sternentanzes in Verbindung mit den Elementen Erde, Feuer und Luft zu gebrauchen. Auf diesem Gebiet seid Ihr sogar der mächtigste Zauberer, den wir seit vielen Generationen haben. Selbstredend versteht Ihr es auch sehr gut, diese Fähigkeit an Euren Sohn weiterzugeben. Aber was Ihr überhaupt nicht beherrscht, ist der Umgang mit dem Element Wasser. Auf diesem Gebiet kenne ich mich aber ziemlich gut aus, und deswegen halte ich es für besser, wenn ich Axis auf dem Gebiet der Wassermusik unterweise.«
Ihr Sohn blieb abrupt stehen und entgegnete nur murrend: »Ich habe aber mehr Zaubermacht.«
»Ja, die habt Ihr«, stimmte Morgenstern zu. »Aber das Element Wasser verlangt weniger nach großer Zauberkraft, als vielmehr nach großem Einfühlungsvermögen. Und dafür habt Ihr einfach keine Geduld.«
Sternenströmer starrte sie wütend an und zuckte dann die Achseln. »Dann unterrichtet Ihr ihn doch!« forderte er sie barsch auf.
Axis spürte die Hand seiner Großmutter auf der Schulter. »Gut«, sagte sie nur und stellte sich vor ihren Enkel. Die Beziehung zwischen den beiden war noch nicht sonderlich weit gediehen und keiner von ihnen wußte schon so recht, was er vom anderen halten sollte. Der Krieger spürte sehr wohl, daß Morgenstern ihn unwillkürlich ablehnte. Viel lieber hätte sie einen reinrassigen Ikarier als Sternenmann gesehen. Und er vermutete auch, daß ihr seine Zauberkräfte genauso unheimlich waren wie Sternenströmer.
Und seine Großmutter war eine energische und starke Frau, die im Krallenturm enorme Macht ausübte – und das nicht nur als Witwe des letzten Krallenfürsten, sondern auch als älteste Zauberin. Axis seinerseits hatte immer noch einige Schwierigkeiten damit, mit ihrem Alter zurechtzukommen. Morgenstern näherte sich mit ihren fünfhundert Jahren dem Ende ihres Lebens, und doch sah sie kaum älter aus als er. Sie hatte das gleiche lockige blonde Haar wie ihr Sohn, seine hellblauen Augen und leuchtend weißes Gefieder. Nur ihre Augen verrieten ihre ungeheure Lebenserfahrung, wenngleich sich ihr vornehmes Auftreten durch Abgeklärtheit und Gelassenheit auszeichnete.
Morgenstern schloß jetzt die Augen und schickte ein Gebet an Flulia, die Göttin des Wassers. Dann legte sie die Hände an Axis’ Schläfen und schloß ihm mit den Daumen die Augen. »Vernehmt den Sternentanz«, flüsterte sie.
Sternenströmer hatte seinem Sohn als erstes beigebracht, den Sternentanz zu hören; die Musik, die die Sterne erzeugten, während sie durch das Universum tanzten. Diese Musik stellte die Machtquelle der ikarischen Zauberer dar. Die Weisen, die Axis dann zu hören bekam, besaßen eine erstaunliche Schönheit, und beim ersten Vernehmen löste ihre Erhabenheit Tränen bei ihm aus. Obwohl die Melodien nicht mit Macht ertönten, sondern eher leise daherkamen, füllten sie doch alle Wahrnehmungen und Empfindungen des Seins aus. Seitdem umgaben ihn die sanften Weisen, und er spürte sie bei jedem Herzschlag, aus den Gesprächen anderer, in den Schatten seiner Träume und im Rascheln der Federn im Wind.
Die ikarischen Zauberer nutzten die Macht der Sterne, indem sie diese Musik für ihre Magie einsetzten. Aus dem Sternentanz woben sie eine Melodie, die die Energie der Gestirne zum Fließen brachte. Für jeden Zauber gab es eine eigene Weise. Angehende Zauberer verbrachten ihre Lehrzeit hauptsächlich damit, die verschiedenen Lieder zu lernen und ihrer jeweiligen Anwendung zuzuordnen. Sobald sie eine Melodie dann im Kopf hatten, was an sich schon enormer Anstrengung bedurfte, mußten sie sie nur noch in Gedanken singen, um die Wirkung heraufzubeschwören. Zaubereranfänger summten dabei aber lieber mit, wenn sie sich ihrer Sache noch nicht ganz sicher waren. Je mehr Kraft der Zauberer dann entwickelt hatte, desto kompliziertere Melodien vermochten sie sich zu bedienen. Seit vielen tausend Jahren diskutierten die Zauberer schon darüber, daß womöglich eines fernen Tages jemand aus ihrer Mitte den gesamten Sternentanz für seine Zwecke zu nutzen verstünde und nicht mehr darauf angewiesen sei, einzelne Teile des Liedes
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