Tanz der Sterne - Unter dem Weltenbaum 03
ikarischen Verhältnissen noch ein junger Mann wäre? Wie würde es sein, die eigenen Enkel zu beerdigen, noch bevor er selbst seine mittleren Jahre erreicht hätte?
»Ob es mir wohl gefällt, in vierhundert Jahren immer noch hier herauszukommen und den Eisbären bei der Robbenjagd zuzuschauen? Und mich verzweifelt an den Namen und das Gesicht der schönen jungen Frau zu erinnern versuche, die sich vor so lange Zeit zu mir gesetzt hat? Deren Gebeine dann in irgendeinem vergessenen Grab längst zu Staub zerfallen sind? Nein, Aschure, dieser Gedanke gefällt mir überhaupt nicht. Er kommt mir sehr … hart vor.«
Die junge Frau nahm seine Hand. Axis erstarrte kurz und zwang sich zu einem Lächeln. »Aber die Kräfte, in deren Gebrauch ich mich als angehender ikarischer Zauberer Tag für Tag übe, gewähren mir auch einige Vorteile. Darunter die, der Frau, die gerade neben mir sitzt, ein kleines Geschenk für ihre Freundschaft zu machen.« Für einen Moment glaubte Aschure, im Wind eine ferne Melodie zu vernehmen. Dann lachte sie vor Vergnügen, als die samtweichen violetten Blüten der Mondwildblume auf sie herabregneten. Sie ließ Axis’ Hand los und versuchte, so viele wie möglich von ihnen aufzufangen.
»Woher wußtet Ihr das?« fragte die junge Frau verwundert. Es hatte ihr den Atem geraubt. Seit über zwanzig Jahren hatte sie keine Mondwildblumen mehr gesehen. Als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, hatte ihre Mutter sie manchmal bei Vollmond mit hinaus genommen, um diese seltenen Pflanzen zu suchen.
Der Krieger pflückte eine Blüte aus der Luft und flocht sie in Aschures Haar. Er wirkte nicht ganz so begeistert wie seine Freundin, denn eigentlich hatte er beabsichtigt, Frühlingsrosen auf sie herabregnen zu lassen. »Ach, das war nur gut geraten. Ihr erinnert mich manchmal an die Mondwildblume. Verbergt Euch in der Dunkelheit und wollt weder gefunden noch berührt werden.«
Ihre gute Laune war mit einem Mal dahin, aber sie hielt eine der Blüten vorsichtig in ihren Händen und brachte rasch die Sprache auf ein anderes Thema. »Abendlied hat mich aufgefordert, heute nachmittag mit ihr an den Kampfübungen teilzunehmen. Sie meint, ich hätte die richtigen Anlagen dafür.«
Axis’ ikarische Schwester war immer noch zutiefst von Aschures Kämpferqualitäten beeindruckt, die sie besonders bei der Schlacht am Erdbaum demonstriert hatte. Während die ikarische Luftarmada nur hilflos dagestanden und nicht gewußt hatte, was sie gegen die angreifenden Skrälinge unternehmen sollte, hatte die Menschenfrau sich mit einer Waffe gewehrt und dabei herausgefunden, wo die Schwachstelle der Kreaturen lag: Man mußte ihnen ins Auge stechen. Und als sie das erkannt hatte, hatte sie die Ikarier und Awaren dazu angefeuert, nun ihrerseits über die Geisterwesen herzufallen. Und damit nicht genug, hatte Aschure während der Schlacht auch noch Sternenströmer vor dem schon fast sicheren Ende bewahrt.
Kein Wunder, daß Abendlied die Ebenenläuferin für ihren Mut und ihren kühlen Kopf bewunderte. Schon seit Wochen bearbeiteten Axis’ Schwester und ihr Staffelführer Dornfeder sie, doch endlich in die Luftarmada einzutreten und an der Ausbildung teilzunehmen.
Dem Krieger entging die zögernde Haltung seiner Freundin nicht, und er glaubte, die Gründe dafür zu kennen. Hatte nicht er selbst sie beschuldigt, vor ihrer Flucht nach Awarinheim mit Ramu und Schra ihren Vater getötet und seinen Offizier Belial niedergeschlagen zu haben? Hatten nicht auch die Awaren sie abgelehnt, weil sie einer solch gewaltbereiten Person nicht vertrauten, auch wenn sie etlichen von ihnen das Leben gerettet hatte?
»Aschure«, begann er sanft, »Ihr habt nur das getan, was Ihr tun mußtet. Nun habt Ihr das Recht, Euer Leben selbst zu bestimmen. Steht Euch denn der Sinn danach, heute nachmittag mit Abendlied zu den Waffenübungen zu gehen?«
Die junge Frau zögerte und nickte dann. »Ich habe die Luftsoldaten beim Bogenschießen gesehen. Sie wirken dabei so prachtvoll und gewandt. So etwas würde ich auch gerne können. Dornfeder hat versprochen, mir alles zu zeigen und mir«, sie verzog den Mund, »den Umgang mit Pfeil und Bogen beizubringen …« Wieder zögerte sie und schien sich danach zum Weiterreden zwingen zu müssen. »Ich bin es so leid, mich hilflos zu fühlen und kein Ziel im Leben zu haben. Mir kommt es so vor, als hätte ich mein bisheriges Dasein in einem tiefen dunklen Brunnen verbracht. In Smyrdon war ich doch wirklich
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