Tanz im Mondlicht
nicht …«
»Es geht, du musst es nur zulassen. Zieh einen Schlussstrich.«
»Das ist nicht möglich, Sylvie.«
»Du quälst dich doch nur. Es ist jedes Mal das Gleiche, wenn du nach Hause kommst.«
Jane starrte ihre Schwester an, spürte, wie sich ihr Atem verlangsamte. Sie war nun hellwach. Der Traum war vorüber. Oder? Ihr schien, als würde er niemals enden.
Jane schloss die Augen. Wenn Sylvie nur wüsste, wie sie sich fühlte. Ein Teil ihres Herzens hatte sich von ihr gelöst, befand sich draußen in der Welt. War lebendig, voller Energie, wohnte auf einem Anwesen, das an eine Obstplantage grenzte. Liebte Apfelpasteten. Hatte den Namen von der leiblichen Mutter erhalten, von Jane.
Der Name lautete: Chloe.
Kapitel 8
Z wei Samstage hintereinander und an mehreren Wochentagen dazwischen arbeitete Chloe nach der Schule am Obststand. Am zweiten Samstag war die Luft kühl. Sie duftete nach frischem Gras und nasser Farbe. Die Apfelblüten hingen schwer an den Bäumen, in dichten Trauben in auffallendem Rosa, die jeden Moment aufplatzen und ihre schneeweiße Blütenpracht entfalten konnten.
Onkel Dylan hatte Chloe bei der Wahl der Farben freie Hand gelassen, und so strich sie den Stand blau, in einem zarten Krickentenblau wie die Eier der Araukanischen Hühner. Die Regale sollten leuchtend gelb werden, wie Butterblumen.
Chloe trug eine Latzhose aus Jeansstoff, darunter ein blaues T-Shirt und alte Turnschuhe. Die silbernen Kreolen in ihren Ohrläppchen hatten sich in ihren dunklen Haaren verhakt, die ihr dauernd ins Gesicht fielen. Sie hätte eine Kappe aufsetzen sollen. Da sie keine Übung im Anstreichen hatte, richtete sie ein ziemliches Chaos an. Die Farbe setzte sich unauslöschlich in den leicht splitternden alten Holzlatten fest. Chloes Hände waren beide blau, und irgendwie waren Farbspritzer auf ihre rechte Wange gelangt.
Ihre Eltern gaben sich die größte Mühe, keinen Kommentar abzugeben und so zu tun, als ginge sie die ganze Aktion nichts an. Ihr Vater war auf der Farm mit ihrer rund vierzig Morgen großen Apfelplantage aufgewachsen und betrachtete die Arbeit am Obststand als gewaltigen Rückschritt. Er hatte das Roger Williams College besucht und war zunächst Versicherungsstatistiker und danach ein ungemein erfolgreicher Versicherungsagent geworden; er hatte es zu etwas gebracht und seine Familie davor bewahrt, im Schweiße ihres Angesichts das Land zu bestellen.
Vor ein paar Jahren hatten Chloe und ihre Freundin Mona Onkel Dylan überredet, ihnen zur Silberhochzeit ihrer Eltern die Scheune für einen »Tanz in der Tenne« zur Verfügung zu stellen. Es sollte eigentlich eine Überraschung werden, doch da die beiden erst dreizehn waren, hatten sie tatkräftige Unterstützung gebraucht. Onkel Dylan war viel zu sehr in seine Trauer eingesponnen, um eine große Hilfe zu sein, und deshalb hatte Chloe ihre Mutter bitten müssen.
Sie war überglücklich gewesen. Ihre Wangen waren rosig gewesen, als sei sie wieder ein junges Mädchen. Sie hatte Chloe ganz fest in die Arme genommen und gedrückt. Gemeinsam hatten sie die Gästeliste zusammengestellt: Chloes beide Großmütter; der Bruder ihrer Mutter und seine Frau, die in Portland, Maine, lebten; Freunde ihres Vaters aus dem Rotary-Club; Freundinnen ihrer Mutter aus dem Gartenbau-Club.
Ihre Mutter hatte die Einladungskarten gemacht: Sie zeigten die Scheune, mit Luftschlangen und kleinen weißen Lichtern geschmückt. Im Anschluss galt es, die Scheune genauso herzurichten wie auf dem Bild. Es war ein zauberhafter Abend geworden – und er hatte kaum etwas gekostet! Chloes Mutter hatte etliche Schmorgerichte zubereitet. Dazu gab es Apfelwein in rauhen Mengen. Ein Freund ihres Vaters aus dem Rotary-Club betätigte sich in seiner Freizeit als DJ, und sie konnten ihn dazu bringen, umsonst die Musik aufzulegen. Die Leute tanzten bis in den frühen Morgen. Als Chloe und Mona müde wurden, waren sie einfach auf den Heuboden hinaufgestiegen und eingeschlafen.
Chloe wünschte, solche Erinnerungen könnten bewirken, dass ihre Eltern die Apfelplantage lieber mochten. Sie waren wunderbar in mancher Beziehung, konnten aber auch nervig sein. Sie hatten eine neuzeitliche Vorstellung bezüglich der Verwendung von Grund und Boden: verkaufen, erschließen und nichts wie weg damit. Während Chloe und Onkel Dylan das Land zu sehr liebten, um sich davon zu trennen.
Eben jetzt arbeitete Onkel Dylan auf der Plantage. Sie hörte, wie er die jungen Bäume hin und her
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