Tanz im Mondlicht
dem Schreibtisch der Sekretärin aus und bettete Jane darauf. Ihre Blicke trafen sich, hielten einander fest und sie spürte die Sorgenfalte zwischen ihren Augen.
»Hast du …«, begann sie.
»Ich habe kein Kondom mitgebracht. Hast du das …?«
Sie kicherte. »Ich trage es nicht ständig mit mir herum.«
Er küsste sie. Seine Augen waren ernst, aber unbekümmert. »Ist der Zeitpunkt sicher?«
»Keine Ahnung, in Mathe bin ich keine Leuchte.«
Beide lachten, und sie versuchte zu rechnen, aber wer wusste schon, welche Phasen des Monats absolut sicher waren – manche Mädchen behaupteten, dass die meisten in der Mitte des Menstruationszyklus schwanger wurden, aber eine Bekannte ihrer Zimmergenossin hatte während ihrer Blutung Sex gehabt, und danach war ihre Periode ausgeblieben. Jane schloss die Augen und versuchte, rückwärts zu zählen, sich krampfhaft an das Datum ihrer letzten Regelblutung zu erinnern, aber sie war kein Mensch, der Buch führte und einen klaren mentalen Kalender in Bezug auf ihren Körper besaß.
»Nur dieses eine Mal«, bettelte er.
»Aber …«
»Ich liebe dich, Jane.«
»Ich liebe dich auch, Jeffrey.«
Die Worte hingen in der Luft. Waren diese Worte nicht das, was wirklich zählte? Sie erzählten eine Geschichte, die tiefgreifender war als die dicken Wälzer, die an der Brown als Lehrmaterial dienten. Liebe war das A und O. Liebe war das Wichtigste im Leben. Liebe war größer als das Universum. Sie beherrschte Janes ganzes Herz, ihr ganzes Sein, war Herrscherin über Raum und Zeit, begleitete sie auf allen Wegen.
Sie liebten sich. Er drang in sie ein. Sie schloss die Augen, spürte, wie er in sie hineinglitt. Die Feuchtigkeit war unvergleichlich. Er füllte sie aus. Sie wurden von einem beispiellosen Feuer verzehrt. Die Hitze ergriff sie wie eine Welle, von der Stelle zwischen ihren Beinen geradewegs bis ins Herz. Sie fühlte sich an wie ein brennender Pfeil, und zum ersten Mal in ihrem Leben verstand sie, was es mit der Legende von Amor auf sich hatte.
Der Pfeil traf sie tief und hinterließ seine Spur, für immer.
An diesem Abend wurde sie schwanger.
Sie wusste es in dem Moment, als es passierte. Sie bewahrte das Geheimnis, auch vor Jeffrey. Sie wollte erst ganz sicher sein. Trotz der Liebe, die sie erfüllte, hatte sie erwartet, in Panik zu geraten. Doch wo Liebe ist, ist kein Platz für Angst.
Und sie liebte das Baby.
Auf Anhieb und uneingeschränkt, im gleichen Maße – nein, mehr noch als den Vater. Das ungeborene Kind war ein Teil von ihr und sie von ihm. Wie war das möglich, wie ließ sich dieses Gefühl erklären?
Sie verzichtete auf eine Erklärung, zunächst. Auf den Abschlussball folgte ein leichtes klassisches Popkonzert, und danach kam die Verleihung des akademischen Grades und die feierliche Prozession der Studenten mit Robe und Hut, bei der sich die Van-Winckle-Tore zum zweiten Mal in diesem akademischen Jahr öffneten. Jeffreys Weg führte nach New York, wo er während der Sommermonate eine Stelle als Forschungsassistent bei einem Dozenten an der Columbia University ergattert hatte, und Jane wollte in der Twin Rivers Bakery arbeiten, die einer Cousine ihrer Mutter gehörte. Im September würde sie an die Brown zurückkehren, mit Sylvie im Schlepptau, die dann mit ihrem Studium beginnen würde.
Jane hatte beim Abschied heiße Tränen vergossen. Genau wie Jeffrey. Sie hielten sich umschlungen, ahnten nicht, dass es das letzte Mal sein sollte. Oder beinahe das letzte Mal.
Jane, in ihrem alten Zimmer im Haus ihrer Mutter, weinte im Traum, bis das Kopfkissen nass war. Sie umschlang ihren Körper mit beiden Armen, als sei sie auf diese Weise in der Lage, ihn zusammenzuhalten, alles in ihrem Inneren zu bewahren, alles zurückzuholen, was sie verloren hatte, die Bruchstücke von drei Menschenleben wieder zusammenzusetzen.
Eines Nachts stolperte Sylvie, die Jane weinen hörte, schlaftrunken in ihr Zimmer. Kaltes bläuliches Mondlicht schimmerte durch das Geäst der Bäume, noch kahl im April, und als Jane die Augen öffnete, sah sie ihre Schwester in einem weißen Nachthemd auf ihrer Bettkante sitzen. Janes Traum hatte ihr das Herz zerrissen; die Vergangenheit kam ihr vor wie ein hungriger Löwe, der sie bei lebendigem Leib zu verschlingen drohte.
Sylvie hielt Janes Hand. Draußen stürmte es, und die Zweige scharrten an der Fensterscheibe. Jane schluchzte, schüttelte den Kopf.
»Lass die Vergangenheit ruhen, Jane«, flüsterte Sylvie.
»Das geht
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