Tanz im Mondlicht
bemerken. Sharon verschlug es den Atem beim Anblick der unvorstellbaren Schönheit der Kirschbäume, weiß und leuchtend, die das Jefferson-Memorial-Denkmal umgaben; schimmernd wurden sie im schwarzen Wasser des Tidebeckens reflektiert.
»O Gott«, staunte sie.
»Na toll«, hatte Eli gemeint. »Da kommen wir aus dem fernen Apfelland, und du zeigst uns Obstbäume.«
»Was ist mit der Plantage?«, hatte Dylan gefragt.
»Geht den Bach runter. Dad klammert sich daran, bis zum bitteren Ende. Wir hätten fünfhundert Riesen von sechs verschiedenen Erschließungsfirmen einsacken können, aber nein …«
»Ich finde es richtig, dass er daran festhält«, hatte Dylan gesagt. Das Verdeck des Wagens war heruntergeklappt, die Luft, die sie umgab, duftete.
»Was heißt das?«, hatte Eli gefragt.
»Was die Welt nicht braucht, ist eine weitere Neubausiedlung, ein weiteres Einkaufszentrum.«
»Mag sein, aber was wir brauchen, ist eine weitere Hypothek. Hast du eine Ahnung, wie hoch allein die Grundsteuer auf unser Land ist?«
»Ja«, antwortete Dylan. Eli verstummte, weil alle wussten, dass Dylan seinen Eltern in den letzten Jahren Geld geschickt hatte, um die Kosten der Plantage zu decken. Er war nicht reich – nur im Staatsdienst tätig, ungeachtet dessen, wie glamourös seine Stellung aus der Sicht seiner Familie auch sein mochte –, aber die Apfelplantage war seine Leidenschaft. Und deshalb war er für seinen Vater der große Held.
»Das Land trägt sich nicht selbst«, sagte Eli barsch. »Sag mir also, was die Welt braucht, wenn nicht ein weiteres Erschließungsprojekt.«
»Die Welt braucht mehr Obstbäume – richtig, Sharon?«
»Kein Kommentar«, hatte sie erwidert und zu lachen versucht. »Ich werde mich hüten, bei euch Chadwick-Brüdern zwischen die Fronten zu geraten.«
»Schaut«, hatte Dylan gesagt und mit einer weitläufigen Geste auf die Kirschbäume gedeutet, eine rosaweiße Wolke, die über dem Wasser schwebte, die Alabaster-Stadt spiegelnd. »Wenn ich der Frau fürs Leben begegnen sollte, werde ich ihr genau dort einen Heiratsantrag machen. Oder zu Hause, auf der Apfelplantage.«
Eli war in schallendes Gelächter ausgebrochen, schien sich endlich wirklich und wahrhaftig zu amüsieren; er schüttelte den Kopf. »Der große Gesetzeshüter! Du hast einen gottverdammten Porsche, fliegst kreuz und quer durchs Land, kennst nur die besten Restaurants und findest,
das
sei romantisch?«
»Zum einen handelt es sich bei dem Porsche um einen Gebrauchtwagen, und zum anderen, ja, finde ich.«
»Sag du es ihm, Shar«, hatte Eli gesagt und sie angestoßen. »Du bist eine Frau. Was wäre dir lieber: Dass James Bond dir bei Kerzenschein an einem schön gedeckten Tisch in einem französischen Restaurant einen Heiratsantrag macht, oder würdest du lieber bis zu den Knöcheln im Matsch stehen, während dich Mücken umschwirren und der Geruch faulender Äpfel in der Luft liegt?«
Sharon hatte Dylans Gesicht angeschaut. Er war Elis Bruder, in jeder Beziehung: markante, eckige Züge, empfindsame Augen mit Tiefe. Aber in einem Punkt unterschieden sie sich: Eli hatte sein Elternhaus nie verlassen, auch wenn er sich ständig davon zu befreien versuchte. Dylan war so schnell wie möglich in die Welt hinausgegangen, doch die Apfelplantage schien für ihn das schönste Fleckchen Erde auf der Welt zu sein.
»Wenn er die Frau fürs Leben findet, spielt das Wo keine Rolle«, hatte Sharon befunden.
Die Brüder hatten gelacht – war Dylan der bittere Unterton in der Stimme seines Bruders aufgefallen? Eli hatte ihr zu ihrer Diplomatie gratuliert, und Dylan war mit ihnen an all den prachtvollen, beleuchteten Monumenten vorbei zu seinem Haus nach Georgetown gefahren. Während der Rückfahrt hatten Sharon und Eli ständig auf die Uhr geschaut.
Sie hatten versucht, ein Kind zu zeugen. Die kritische Zeit im Monat war ihnen stets gegenwärtig, und dieser Abend gehörte dazu. Sie hatten in dem Himmelbett in Dylans Gästezimmer Liebe gemacht; von Romantik konnte längst keine Rede mehr sein. Sex war zur Wissenschaft geworden. Terminkalender, in denen der monatliche Eisprung verzeichnet war, grafische Darstellungen von Eiproduktion und Spermienzählung und die Angst zu versagen, die ihnen noch vor der ersten Umarmung im Nacken saß. In einigen Nächten machten sie sich nicht einmal mehr die Mühe, sich zu küssen.
Als es vorüber war, lag Sharon auf dem Rücken, die Beine hoch gegen die Wand gelehnt, wie von ihrem
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