Tanz im Mondlicht
ihren schmalen Wegen, Saumpfaden und knorrigen, gespenstisch wirkenden Bäumen hatte für die Halbwüchsigen schon immer eine magische Anziehungskraft besessen. Er würde neue Zäune errichten müssen.
Dylan hob Pflanzlöcher aus, zwei Fuß tief, mit dem doppelten Durchmesser des Wurzelgeflechts der neuen Bäume. Er streute lose Erde in das Loch und lockerte die Erdschichten an den Seiten, um das Eindringen der Wurzeln zu erleichtern. Er machte sich die Mühe, das Wurzelwerk jedes einzelnen Baumes behutsam zu entwirren, es auf der lockeren Erde auszubreiten und sich zu vergewissern, dass es sich weder verhedderte noch verdrehte.
Während er die Erde rund um die Wurzeln wieder auffüllte und mit der Hand fest andrückte, achtete er darauf, dass keine Lufteinschlüsse entstanden. Er überzeugte sich davon, dass sich die Pfropfstelle gute fünf Zentimeter über dem Boden befand. Als er die Erde festklopfte, hatte er das Gefühl, etwas zu begraben, was er liebte. Er dachte an Isabel. Er erinnerte sich an den Tag der Beisetzung.
Es begann zu regnen. Dicke Tropfen platschten auf den trockenen Boden. Ein regelrechter Platzregen setzte ein, der das Erdreich binnen kurzer Zeit in einen Morast verwandelte. Er prasselte auf die weißen Blüten nieder, tropfte von den Ästen und neuen Blättern. Dylan setzte seine Arbeit fort. Seine Hände hatten Blasen vom rauhen Handgriff der Schaufel und begannen zu bluten. Der Regen verwandelte sein Blut in Wasser und spülte es in die Erde.
»Hallo!«
Er hörte die Stimme und blickte hoch. Ein blauer Kombi parkte auf der Landstraße, und eine Frau stapfte durch das offene Gelände. Es war Jane. Sie trug eine dünne weiße Hemdbluse, ausgeblichene Jeans und Laufschuhe; die dunklen Haare hingen ihr in die Augen.
»Ich bringe die Pasteten!« Sie deutete hinter sich. »Sie sind im Wagen.«
Dylan lehnte sich auf seine Schaufel. Er war fast fertig und wollte die Arbeit nicht unterbrechen. Das Pflanzen der Bäume bewirkte, dass er sein Leben für eine Weile vergaß; er war derart in seine Gedanken an die Wurzeln, die Erde und den fallenden Regen vertieft, dass er eine Minute brauchte, um wieder in die Wirklichkeit zurückzufinden. Er starrte Jane an, die triefend vor Nässe auf ihn zulief, und dachte unwillkürlich an einen Engel, den es auf die Erde verschlagen hatte.
»Wo soll ich sie hinbringen?«
»Sie hätten sich nicht durch die matschige Plantage kämpfen müssen!«
»Ich habe von der Straße aus gerufen, aber Sie haben mich nicht gehört.«
»Tut mir leid.« Er hatte ein Flanellhemd getragen, es jedoch ausgezogen, als er zu schwitzen begann. Es lag zusammengerollt an einer höher gelegenen Stelle, auf einem Felsen unter einem alten, festverwurzelten Baum, und war noch ziemlich trocken; er schüttelte es auseinander und versuchte, damit ihren Kopf zu bedecken. Erde rieselte ihr in die Augen. Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte. Nun hatte sie einen Schmutzstreifen auf der Wange.
»Und wohin jetzt mit den Pasteten?« Ein Lächeln kräuselte ihre Lippen.
»Wie wäre es, wenn Sie sie bei mir zu Hause abladen? Biegen Sie in die Zufahrt unmittelbar hinter dem Zaun ein – ich komme zu Fuß nach und treffe Sie dort.«
Sie nickte, rannte bereits zu ihrem Wagen.
Jane hielt sich an die Wegbeschreibung: Sie folgte dem hölzernen Staketenzaun und bog in die ungeteerte Zufahrt ein. Ihre Hände zitterten. Dylan hatte versucht, ihren Kopf mit seinem Hemd zu schützen. Dabei hatte er versehentlich mit seinem Bart ihre Wange gestreift. Sein Lächeln war freundlich gewesen, aber es war ihr nicht ganz gelungen, es zu erwidern. Die Auslieferung der Pasteten war ein Vorwand gewesen: In Wirklichkeit war sie in geheimer Mission unterwegs.
Das Farmhaus, das er bewohnte, war groß und weiß. Das Wort »weiträumig« wäre zutreffend gewesen. Es hatte mehrere Veranden und Schornsteine. Die Fensterläden waren dunkelgrün, und der Anstrich blätterte ab. Ein alter Wunschbrunnen im Hof vor dem Haus war mit einer Plane abgedeckt. Ein knallroter Pick-up parkte vor einer verwitterten silbrig roten Scheune. Während sie das Bild betrachtete, das sich ihr bot, kam Dylan mit weit ausholenden Schritten aus der Plantage, ging die Treppe an der Vorderseite des Hauses hinauf und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, einzutreten.
Sie ergriff den Korb mit den Pasteten und rannte los, vornübergebeugt, um das Gebäck vor dem Regen zu schützen. Dylan hatte die Tür offen gelassen; sie lief ins Haus.
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