Tanz im Mondlicht
Fertilitätsspezialisten empfohlen. Eli hatte sich auf die Seite gedreht und war eingeschlafen – oder hatte zumindest so getan als ob. Sharon hörte immer noch Dylans Worte: Über seinen Traum, der Frau fürs Leben einen Heiratsantrag zu machen, während die von Blütenduft erfüllte Luft durch den offenen Wagen wehte. Es hatte romantisch geklungen. Bedrückt hatte sie sich gefragt, ob das Leben für manche Menschen wirklich so einfach war.
Auch jetzt, während sie am Frühstückstisch saß und Eli die Zeitung las, fühlte sie sich bedrückt. Dylan hatte die große Liebe seines Lebens gefunden; er hatte Amanda einen Heiratsantrag gemacht – nicht auf einer Plantage, sondern an Deck einer Yacht, die ihrem Vater gehörte und im Newport Harbor vor Anker lag. Die Hochzeit hatte auf ihrem Familiensitz stattgefunden: Maison du Soleil, einer der Kalkstein-Paläste an der Bellevue Avenue mit einem makellosen Rasen in Hanglage, der sich bis Cliff Walk erstreckte und einen unverbauten, weitläufigen Blick aufs Meer bot.
Dylan war in das Büro der U. S.-Marshals in New York City berufen worden, und sie waren von Georgetown in die vornehme Upper East Side gezogen. Nach nur einem Jahr Ehe, zur gleichen Zeit, als Sharon und Eli – nach jahrelangen vergeblichen Versuchen – Chloe adoptiert hatten, stellte sich ein Baby ein.
Eli, Sharon und Chloe; Dylan, Amanda und Isabel.
Die beiden Chadwick-Brüder und ihre Familien, die in beinahe jeder Hinsicht in verschiedenen Welten lebten. Der eine Bruder hatte zu kämpfen, der andere war reich. Der eine hatte ein Kind adoptiert, der andere ein leibliches gezeugt. Der eine wohnte in einer Kleinstadt, der andere in der Großstadt. Der eine lebte auf einer Plantage, der andere in Manhattan.
Doch der Tod hatte sich als der große Gleichmacher erwiesen; der Mord an seiner Frau und seinem Kind brachte Dylan auf die Plantage zurück. Sein Vater war schon vor Jahren gestorben, aber das Thema Verkauf – oder Weiterführung – der Plantage war unlängst wieder aufgetaucht, als Virginia geschäftsunfähig wurde.
Sharon schloss die Augen. Der Duft der Apfelblüten drang durch das Küchenfenster, und sie fühlte sich in jene Nacht in Georgetown zurückversetzt. Was wäre gewesen, wenn sie damals schon so schlau gewesen wären wie heute?
Sie dachte an Amanda und das, was sie getan hatte. Hätte Dylan ihr jemals verziehen, wenn sie noch lebte? Die Frage würde wohl für immer unbeantwortet bleiben. Sharon öffnete die Augen, wohl wissend, dass dies auch für andere Fragen galt. Manche konnten nicht einmal gestellt werden.
Sie hatte Eli unterbrochen, bevor er sagen konnte: »Manchmal schaue ich sie an und dann, Gott steh mir bei, frage ich mich …« Das Ende des Satzes hätte gelautet: »Und dann frage ich mich, wie unser leibliches Kind wohl gewesen wäre …«
Sharon stellte sich bisweilen die gleiche Frage. Sie hätte die Worte nie über ihre Lippen gebracht. Und was bedeutete überhaupt »leibliches« Kind? Weil sie Chloe mehr als alles auf der Welt liebte, schon immer, seit dem allerersten Tag. Chloe war wirklicher als die Wirklichkeit. Sharon aß weiter, obwohl ihr der Appetit vergangen war.
Der beste Weg, um zuzunehmen
, sagte sie sich. Sie hatte im letzten Jahr fünfzehn Pfund zugelegt. Das Leben war nervenaufreibend.
Sie hörte Dylans Traktor. Und ein Hämmern in der Ferne: Chloe reparierte den Obststand. Sie sah, wie sich die Muskeln in Elis Gesicht anspannten.
Ja, das Leben war in der Tat nervenaufreibend.
Kapitel 11
I n der darauffolgenden Woche hatte Dylan mehrere Tage zum Einpflanzen vorgesehen. Der Frühling war bisher regenarm gewesen, so dass die Erde knochentrocken, hart und schwer umzugraben war. Es wehte ein kräftiger Wind, der tiefhängende, schiefergraue Wolken vor sich hertrieb. Weiße Blüten wehten von den Bäumen; die neuen Blätter hatten die Größe von Eichhörnchenohren, ein Zeichen dafür, dass Streifenhörnchen in die Bucht übersiedelten. Dylans Bein schmerzte an der Stelle, wo er operiert worden war – ein sicherer Vorbote, der Regen ankündigte. Auf die Stahlnägel war immer Verlass.
Auf dem Weg zum Pflanzbereich entdeckte er neue Furchen, wo die Reifen der Geländemaschinen die Erde aufgeworfen und einige alte Wurzeln versengt hatten. Er bückte sich, tastete die Stämme mit den Händen ab. Die Rinde war abgerissen, das darunterliegende Holz roh und weiß wie ein blank liegender Knochen. Dylan schüttelte den Kopf. Die Apfelplantage mit
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