Tanz im Mondlicht
Die Diele war dunkel. Sie schüttelten ihre nassen Köpfe wie zottige Hunde. Dylan ging voran in die Küche, und als sie das Wohnzimmer durchquerten, sah sie, dass auf sämtlichen Sesseln Katzen schliefen.
»Katzen lieben Regentage«, sagte sie.
»Katzen gibt es hier einige, wie man sieht.«
»Gemütlich.«
»Ihretwegen riecht das ganze Haus wie ein einziges großes Fellknäuel. Aber sie halten Schmarotzer fern.«
»Schmarotzer?«
Er nickte. Sie befanden sich inzwischen in der Küche, einem Raum, der durch nostalgische cremefarbene Geräte, einen emaillierten Tisch, Holzstühle mit Spindelbeinen und verblichene Baumwollvorhänge eine phantastische Retro-Note erhielt. Jane wurde mit einem Mal klar, dass sich in dieser Küche seit 1955 nichts verändert hatte.
»Katzen fressen Ratten«, sagte er. »Und Mäuse und Schlangen.«
»Brave Katzen.«
»Wir lagern Äpfel in der Scheune, und bis Oktober hat es sich herumgesprochen und die ungebetenen Kostgänger tauchen von überall her auf. Mein Bruder schlug Gift vor, um die Mäuseschar in Grenzen zu halten … die Familie hat sich deswegen praktisch überworfen.«
»Warum das?«
»Chloe«, sagte er, und der Name versetzte ihr, obwohl sie damit gerechnet hatte, ihn heute zu hören, einen Schlag, so dass ihr ein Schauer über den Rücken rann.
»Was ist mit Chloe?«
»Sie bekam einen Tobsuchtsanfall. Mäuse vergiften?« Er schüttelte den Kopf. »Lieber würde sie sich selber vergiften. Eli versuchte ihr zu erklären, dass es sich um ein spezielles Gift handelt, das die Mäuse sanft ins Land der Träume befördert, aber sie drohte, von zu Hause wegzulaufen, falls wir auf die Idee kämen, es zu benutzen.«
»Sie ist offenbar sehr tierlieb.« Jane bewahrte diese neue Information, die so kostbar war wie eine Perle, in ihrem Gedächtnis auf.
Dylan nickte. Er lehnte sich gegen die Frühstückstheke aus Resopal, die Arme über der Brust verschränkt. Er war groß und sein Körper stark und muskulös, aber sein Gesicht hatte keine Ähnlichkeit mit dem eines gewöhnlichen Farmers. Seine Augen verrieten zu viel Feinsinn. Er sah aus wie ein Mann, der Shakespeare wie seine Westentasche kannte. Voller Unbehagen dachte sie an Jeffrey, dann schlug sie die Augen nieder. In dem Augenblick fiel ein Blutstropfen auf seinen Stiefel.
»Sie bluten.«
»Scheint so.« Er betrachtete die Innenfläche seiner Hand und griff nach einem Papiertuch. »Die muss abgehärtet werden.«
»Wie kommt’s?«
»Hab zu viele Jahre am Schreibtisch verbracht.«
Sie neigte den Kopf, wartete. Er drückte das Papiertuch fester auf die Wunde, knüllte es zusammen, warf es weg. Gleich darauf fiel ein weiterer Blutstropfen auf seine Stiefelspitze.
»Geben Sie mir Ihre Hand«, befahl sie und durchquerte mit raschen Schritten die Küche.
»Sind Sie Ärztin?«
Sie nickte ernst. »Klar.« Sie nahm seine Hand. Die Haut war gebräunt und rauh. Die Fingernägel waren schwarz von der Erde. Auf den Innenflächen beider Hände hatten sich Blasen gebildet, die an der rechten Hand waren aufgeplatzt und bluteten. Sie trat an das tiefe Emailspülbecken und drehte die Wasserhähne auf: Sie waren aus schwerem Chrom, mit weißen Emailplaketten in der Mitte, auf denen »Heiß« und »Kalt« stand.
»Sie haben eine richtig anheimelnde, altmodische Küche«, sagte sie, noch immer seine Hand haltend, während sie darauf wartete, dass sich das Wasser erwärmte.
Er nickte. »Ich bin hier aufgewachsen.«
»Erinnert Sie das an Ihre Kindheit?«
»Anfangs schon, gleich nach dem Umzug. Doch inzwischen ist das einfach mein Zuhause. Sind Sie wirklich Ärztin?«
»Klar«, erwiderte sie ernst.
»Psychiaterin?« Er lächelte.
»Oh, weil ich mich nach Ihrer Kindheit erkundigt habe? Sehr scharfsinnig. Aber Sie liegen falsch. Ich bin Gehirnchirurgin.« Sie testete das Wasser an der Innenseite ihres rechten Handgelenks. »Möglich, dass es gleich brennt.«
»Ich bin hart im Nehmen.«
»Dann los.« Sie schob seinen Arm behutsam unter den warmen Strahl. Sie sah zu, wie das Wasser Blut und Erde wegwusch. Seine Handfläche war rohes Fleisch, und sie konnte sich vorstellen, wie das Wasser schmerzte. »Sie sind sehr tapfer.«
»Danke. Ich dachte, Sie hätten gesagt, dass Sie Konditorin sind.«
»Bin ich. Aber ich habe mir häufig in die Hand geschnitten, deshalb kenne ich mich mit Erster Hilfe aus … und das qualifiziert mich für diese Tätigkeit. Haben Sie ein antiseptisches Mittel im Haus?«
Er öffnete die Tür unter dem
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