Tanz mit dem Engel
einen Windzug in dem Gang, der von der Straße kam und hinter ihm abbog.
Bald kommt der Teufel heraus, dachte er. Ich kann ihn umbringen, dann ist es mit der Karriere einstweilen vorbei.
Bölger kam fünf Minuten später heraus. Er streckte den Arm vor, und Winter hörte die Riegel knacken. Er schob sich in den BMW und fuhr weg.
Merkwürdig, daß kein einziger Mensch vorbeigegangen ist, während ich hier stand, dachte Winter. Als wäre die Gegend abgesperrt, wie in einem Film, wo tausend Menschen vor den Absperrungen stehen und beobachten, was sich abspielt. Oben sitzt die Kamera auf einem Spezialgerüst.
Er trat aus dem Gang und hinkte über die Straße, ging die Treppen hinauf und klingelte noch einmal. Dann nahm er den dünnen Bund Dietriche heraus und prüfte das Schloß. Der Stahl des Schlüssels fühlte sich durch den Handschuh weich an.
Es knackte im Schloß, und er war drinnen. Er bewegte sich durch die Wohnung, durch alle Räume.
Danach begann er mit der Kommode, aber sie enthielt nur Kleidungsstücke. Bölger hielt auf Ordnung.
Die Kleiderschränke enthielten Schuhe und Kleidung, Gürtel, Schlipse.
In der dritten Schreibtischschublade von oben lag ein dicker Umschlag, offen, eine fast arrogante Geste. Er enthielt drei Pässe, auf drei verschiedene Personen ausgestellt. Alle trugen Bölgers Gesicht, aber keiner seinen Namen. Keine Stempel, die verwendete man im neuen Europa nicht mehr. Von der Sorte gibt es einige, dachte Winter.
Einer der Pässe lautete auf den Namen einer Person, die unlängst in einem Flugzeug nach London gesessen hatte. Das Flugzeug war einen Tag nach Christian Jaegerbergs Ankunft dort gelandet.
Sie hatten Hilfskräfte an die Passagierlisten gesetzt und diesen Tag, den Tag davor und den Tag danach überprüft.
Winters Entdeckung war sensationell, aber er registrierte sie bloß als einen weiteren Faden, der für ihn ausgelegt war. Ich bin blind gewesen, aber nun sehe ich, dachte er. Ich halte diesen Paß in meinen Händen, und meine Hände zittern.
Oder es ist nur einer von diesen unerklärlichen Zufällen.
Er fand noch mehr Dokumente, aber sie waren für ihn ohne Interesse: Buchführung, Lieferscheine, Rechnungen, Papiere für den Betrieb. In einer Schublade im Schlafzimmer lag ein netter Stapel pornographischer Zeitschriften, Standardmodelle und Standardübungen.
Keine Quittungen, keine Kopien von Flugkarten, keine Kopien von Bons.
Er ging zum Schreibtisch zurück und nahm einen Stapel Papiere, die auf einem breiten Brett darüber lagen. Es waren mindestens zwanzig Blatt, und sie waren mit einer spitzen, eckigen Handschrift vollgekritzelt. Sie sahen aus wie ein in maßlosem Zorn geschriebenes Manuskript. Er konnte die Wörter nicht lesen. Plötzlich entdeckte er seinen eigenen Namen, ganz deutlich. Er blätterte zu einem neuen Bogen weiter. Wieder sein Name. Er konnte nichts anderes lesen. Die Wörter stürmten über das Papier.
Er spürte eine rauhe Kälte im Nacken. Nie zuvor hatte er ein stärkeres Gefühl des Schreckens empfunden.
Ein kleines Tuch hing über etwas, das vor ihm auf dem Schreibtisch stand, ein Rechteck, wie ein Rahmen.
Er hob das Tuch an und sah sein eigenes Porträt, an einem der letzten Tage vor dem Abitur aufgenommen, unter Glas, wie neu.
45
»Wo ist er bloß?« fragte Ringmar. »Wir waren im Haus und in der Bar. Keiner weiß es.«
»Ich weiß es«, sagte Winter, »ich weiß, wo er ist.«
Es blies im Kreis über dem Fjord. Die Winde waren wie wahnsinnig. Winter stand im Bug des Polizeiboots und bildete sich ein, Bölgers Gestalt auf der Anhöhe zu sehen, Bölgers Schatten über Skutviken. Er zog die Mütze fester über die Ohren. Er fror im Hirn.
»Ich gehe allein«, sagte er, als das Boot anlegte.
Die Strandheide lag über den Berg geneigt wie im Gebet.
Bölger stand bei seiner neuen Feuerstelle und stocherte mit einem Schürhaken in den Kohlen. Winter hatte gesehen, wie Bölger an die Feuerstelle getreten war, als er sich über den Hang genähert hatte.
»Erst kommst du nie, und jetzt kommst du immerzu«, sagte Bölger, als Winter neben ihm stand. Er hörte nicht auf, in der Schwärze herumzustochern, blickte nicht einmal auf. Er klopfte mit der Eisengabel die gemauerten Seiten ab, schlug auf die Ziegel.
Jetzt ist es soweit, dachte Winter.
»Wir haben Bergenhem gefunden«, sagte er:
»Wo war er? Bei seiner Stripperin?«
»In einer Felsspalte bei Tängudden.«
»Er tut wohl alles, um sich zu drücken.«
»Ich möchte, daß du jetzt
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