Tanz mit dem Engel
reinkommen?« fragte Aneta Djanali.
»Worum geht es?«
»Wir würden gern ein paar Fragen stellen.« »Worüber?«
»Dürfen wir reinkommen?« sagte Halders mit einer Geste zur Treppe, um zu zeigen, wie unpassend es wäre, die Fragen hier zu stellen, an der Tür.
Der Mann wich zurück, als hätten sie ihn überzeugt. Oder wie vor zwei Räubern, die ihn bedroht hatten. Er wartete, bis sie hereingekommen waren, schloß die Tür hinter ihnen und machte eine Bewegung zum Flur hin. Sie gingen über den Flur und in ein großes Zimmer, größer als alles, was sie in irgendeiner anderen Wohnung hier gesehen hatten. Aneta Djanali schaute sich um: die Deckenhöhe, die Stuckverzierungen, der Raum und alles andere, das in dem Zimmer, in dem Jamie starb, so schwer zu erkennen gewesen war. Seine Wohnung war kleiner gewesen, einfacher, die Deckenhöhe war die gleiche, aber das war alles.
»Das ist ein großes Zimmer«, sagte sie.
»Ich habe eine Wand herausgebrochen«, sagte der Mann.
»Allein?« fragte Halders.
Der Mann blickte ihn an, wie einer einen Komiker studiert, der vielleicht etwas Lustiges gesagt hat.
»Sind Sie wegen des Mordes hier?« fragte er nun, an Djanali gewandt.
Keiner der beiden Kriminalinspektoren antwortete. Halders richtete den Blick auf die Nordwand, Djanali sah den Mann an.
»Der Mord an dem Jungen im Nachbaraufgang«, sagte der Mann.
»Ja«, sagte Djanali, »wir haben ein paar Fragen dazu.« »Ja?«
»Waren Sie zu der Zeit, als es passierte, zu Hause?«
Sie sagte, um welche Zeit das war, die ungefähre Uhrzeit.
»Ich glaube ja. Aber in diesem Fall bin ich direkt danach weggegangen. Gleich am Morgen.«
»Sie wissen, von welchem Jungen wir reden?«
»Ja. Das ließ sich nicht vermeiden.«
»Warum sagen Sie das?«
»Die Presse und das Fernsehen. Nicht daß ich soviel sehe, aber es ließ sich nicht vermeiden. Ich bin nur einen halben Tag zu Hause gewesen, aber soviel habe ich gesehen oder gelesen«, sagte er und zeigte auf den Zeitungsstapel auf dem Tisch.
Aneta Djanali ging hin und sah, daß die Zeitungen der letzten beiden Tage aufgeblättert waren und bogenweise auf dem Fußboden neben dem Tisch lagen.
»Sie sind also gerade erst nach Hause gekommen«, sagte
Aneta Djanali. »Vor ein paar Stunden.« »Wo sind Sie gewesen?« »Das spielt wohl keine Rolle?«
»Wenn es keine Rolle spielt, dann können Sie die Frage ja auch beantworten.«
»Urlaub. Gran Canaria«, sagte er. »Sieht man das nicht?«
Er sah plötzlich besorgt aus, als ob er keine Sonnenbräune bekommen hätte und die Reise deshalb vergebens gewesen wäre. Er ging zurück in den Flur, kam mit einer kleinen Tasche zurück und zog einen Ticketumschlag heraus.
»Hier ist der Beweis«, sagte er.
»Erinnern Sie sich an den Jungen... von früher?« fragte Halders, ohne einen Blick auf den Beweis zu werfen. »Was ist das für eine Frage?«
»Haben Sie den Jungen hier kommen oder gehen gesehen?«
»Ja.«
»Ja?«
»Wie ich sage. Anscheinend hatten wir manchmal dieselben Zeiten, was bei mir heißen kann, späte Zeiten und. tja. ich sah ihn einige Male. Ich bin Straßenbahnfahrer«, fuhr er fort, wie um die späten Zeiten zu erklären.
Das ist völlig richtig, dachte Aneta Djanali, späte Zeiten waren etwas, was sich mit Straßenbahnen verknüpfen ließ. Manchmal so spät, daß die Bahnen überhaupt nicht kamen. Sieh mal an. Er sieht eher aus wie ein junger Bankdirektor als wie ein Straßenbahnfahrer. Sie sah vor sich, wie Erik Winter in der Glaskabine auf dem Fahrerplatz saß und am Brunnsparken entlangratterte.
»War er allein?« fragte sie und hoffte, daß ihr Lächeln nicht zu sehen war.
»Wie?«
»Wenn Sie dem Jungen begegnet sind. War er immer allein, wenn Sie ihm begegnet sind?«
»Nicht immer.«
»Nicht allein«, wiederholte Halders.
»Wann war das letzte Mal, daß Sie den Jungen zusammen mit jemand anderem gesehen haben«, fragte Aneta Djanali.
Der Mann sah aus, als dächte er nach, und während er aussah, als versuchte er, die Gedanken einzufangen, die sich vor seinem Innern zeigten, wurde er plötzlich blaß, binnen einer Sekunde war er völlig weiß im Gesicht, und die zwei Polizisten sahen ihn einen Schritt zur Seite machen, um sich auf den Tisch zu stützen, auf dem die Zeitungen lagen.
»Gooott«, sagte der Mann.
»Was haben Sie denn?« sagte Halders, der sich vorbewegt hatte, um ihn zu stützen.
Er erinnert sich, dachte Aneta Djanali, er erinnert sich, und er glaubt, daß er den Teufel gesehen hat. Ich
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