Tanz mit dem Engel
wären sie in einer einzigen straffen Lage fixiert. Er fühlte sich unnötig schwer in seinem Körper, als hätte seine Seele darin etwas Leichteres verdient.
Hundert Meter vor sich sah er einen Mann im hellbraunen, nicht zugeknöpften Kamelhaarulster, darunter ein Anzug, der blau oder stahlgrau sein konnte, mit Umschlägen an den Beinen, weißes Hemd und Schlips.
Das muß er sein, er hatte so eine Stimme, dachte Macdonald.
Daß er vom Bahnhof bis hier nicht ausgeraubt worden ist! Hat er etwa seinen Polizeiausweis auf Armlänge vor sich hergetragen?
Macdonald wußte nicht, wie alt der schwedische Kollege war, aber er hatte auf einen in seinem eigenen Alter getippt und richtig geraten: noch auf der richtigen Seite der 40. Oder auf der falschen, wenn man sich ziemlich stark nach der Pensionierung sehnte.
Das Haar des Mannes war blond und schien einen Mittelscheitel zu haben, wie bei einem Schauspieler aus den 50er Jahren. Als Macdonald näher kam, sah er, daß der Bursche groß war, vielleicht genauso groß wie er selbst, daß er kantig und beinahe snobistisch wirkte und einen gewissen arroganten Gang hatte. Er war glattrasiert, die Ohren standen leicht ab, das Gesicht war breit und recht schön, und Macdonald sah dem ganzen nicht gerade freudig entgegen.
Winter war überrascht, als er von dem Entgegenkommenden angesprochen wurde. Der Mann war ein paar Zentimeter größer als er, vielleicht 1,94. Das dunkle Haar war straff zu einem Pferdeschwanz zurückgekämmt, und er hatte Stoppeln von einigen Tagen im Gesicht, eine abgetragene Lederjacke, die bequem aussah, ein großkariertes Hemd in Weiß und Blau, schwarze Jeans und spitze Stiefel, die in der Sonne matt schimmerten. Eigentlich müßte er ein Halfter auf der Hüfte tragen, konnte Winter gerade noch denken, ehe der Mann etwas sagte. Er sieht verdammt lebensgefährlich aus.
»Kommissar Winter?«
Der Mann hatte ein Lächeln, das schwer auszumachen war, ein paar Falten um den Mund, keine Tränensäcke unter den Augen, aber eine Müdigkeit in ihnen, die dem Blick einen gewissen dumpfen Brennpunkt gab. Kein Ring im Ohr.
»Kommissar Macdonald«, sagte Winter und streckte die Hand aus.
»Ich dachte mir, wir genehmigen uns ein Glas unten im Prince George«, sagte Macdonald, »dort ist es ruhig und still. Ruhiger als am Bahnhof.«
Sie gingen denselben Weg zurück, den Winter gerade gegangen war, über die Kreuzung und auf die High Street. Winter merkte, daß Macdonald leicht hinkte.
»Sonntagsfußball mit dem Pubteam«, erklärte Macdonald, »so gehe ich nach jedem Spiel. Die Leute hierherum glauben, es sei eine alte Schußverletzung, und das dürfen sie gern glauben.«
»Ich habe vor einigen Jahren aufgehört«, sagte Winter.
»Feigling«, sagte Macdonald.
Der Pub war leer. Im Licht vom Fenster tanzte der Staub. Der Barkeeper nickte Macdonald zu, wie man es gegenüber einem Stammgast tut.
»Wir setzen uns dorthin.« Macdonald zeigte auf einen länglichen Salon auf der anderen Seite der Theke.
Winter hängte seinen Mantel über einen Stuhl und setzte sich. Macdonald ging weg und kam mit zwei Glas Bier zurück, das noch trüb vom Zapfen war.
»Vielleicht hätten Sie lieber ein Lager?« sagte Macdonald.
»Ich trinke immer Ale, wenn ich in London bin.« Winter versuchte zu vermeiden, daß es klang, als wollte er glänzen.
»Das hier ist Directors«, erklärte Macdonald, »sie haben hier auch Courage Best, und das kommt nicht so oft vor.«
»Directors ist gut«, sagte Winter.
Macdonald sah ihn an. Er ist ein Snob, aber vielleicht ist er kein Idiot, dachte der Schotte.
»Sind Sie oft in unserer stolzen Stadt?« fragte er.
»Das ist jetzt ein Weilchen her«, sagte Winter. »Es ist eine riesige Stadt. Hier bin ich früher nie gewesen.«
»Wir sehen selten fremde Gesichter, aus irgendeinem Grund bleiben die Besucher oben um den Leicester Square hängen.«
»Dann entgehen ihnen Marne Amesah's Jamswurzeln.«
»Wie bitte?«
»Fünfzig Meter von hier verkauft sie frische Jamswurzeln.«
»Man darf uns gratulieren.«
»Ich habe eine kleine Runde gemacht, als ich ankam.« »Ich verstehe.«
»Nicht bis zum Selhurst Park.« »Sind Sie mal dort gewesen?«
»Nein.«
»Es ist eine Scheißmannschaft, aber es ist eine Volksmannschaft.«
»Sind Sie Fan?«
»Vom Crystal Palace?«
Macdonald lachte, trank Bier und sah Winter an.
»Ich arbeite zwar hier«, sagte er, »aber deshalb brauche ich gegenüber der Umgebung nicht so loyal zu sein. Wenn ich überhaupt für
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