Tanz mit dem Schafsmann
Megaprojekt finanzieren können, sind natürlich die Großkonzerne. Doch selbst nachdem alle Risiken ausgeschaltet worden sind, lauern im Hintergrund immer noch etliche Unwägbarkeiten, die nur ein Firmenkonglomerat dieser Größenordnung aufzufangen vermag.
Um ehrlich zu sein, das neue Dolphin war nicht mein Fall.
Zumindest würde ich mich unter normalen Umständen, wenn ich mir einen Ort zum Übernachten aussuchen müsste, nicht nach einem solchen Hotel umschauen. Zu hohe Preise, zu viele Kinkerlitzchen. Doch nun waren die Würfel gefallen, ich musste mich mit dieser monströsen Mutation abfinden.
Ich ging zur Rezeption und nannte meinen Namen, worauf drei uniformierte junge Damen in hellblauen Blazern mich mit einem Zahnpastalächeln begrüßten. Das Training dafür gehört sicher auch zu den Investitionen. Alle drei trugen jungfräulich schneeweiße Blusen und perfekte Frisuren. Eine von ihnen hatte eine Brille auf, die ihr natürlich gut stand. Sie war dann auch diejenige, die sich mir widmete. Ich war erleichtert, denn sie war die hübscheste von den dreien, und ich fand sie außerdem sehr sympathisch. Etwas in ihrem lächelnden Gesicht rührte meine Seele an. Sie verkörperte gewissermaßen die gute Fee des Hotels. Gleich würde sie ein goldenes Stäbchen zücken und wie in einem Disney-Film unter sprühendem Funkenwirbel meinen Schlüssel herbeizaubern.
Doch statt eines Zauberstabs benutzte sie einen Computer, tippte flink meinen Namen und meine Kreditkartennummer ein und bestätigte die Eingaben auf dem Bildschirm. Dann händigte sie mir, wieder nett lächelnd, eine Plastikkarte mit der Zimmernummer 1523 aus. Ich bat sie um einen Hotel-Prospekt und erkundigte mich, wann das Hotel eröffnet hatte. Im letzten Oktober, erwiderte sie sofort. Demnach war es seit fünf Monaten in Betrieb. »Ach, noch eine Frage«, begann ich und setzte mein professionelles Lächeln auf, das ich übrigens meisterhaft beherrschte. »Früher gab es genau an dieser Stelle ein kleines Hotel ähnlichen Namens. Wissen Sie zufällig, was daraus geworden ist?«
Ihr Lächeln war jetzt etwas verstört. Ein leises Gekräusel breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als hätte man einen Kronkorken in eine stille, edle Quelle geworfen. Das Gekräusel verzog sich, und zurück blieb ein etwas reserviertes Lächeln. Ich beobachtete diese Nuance mit großem Interesse. Würde jetzt der Geist der Quelle erscheinen und mir die Frage stellen, ob es ein goldener oder ein silberner Kronkorken gewesen war?
»Tja«, sagte sie ausweichend, wobei sie sich mit dem Zeigefinger die Brille hochschob, »das war vor der Eröffnung dieses Hotels. Also darüber können wir nicht so recht …«
Sie verstummte mitten im Satz. Ich wartete auf die Fortsetzung, aber es kam nichts.
»Es tut mir sehr leid«, fügte sie dann hinzu.
»Aha«, sagte ich. Sie wurde mir immer sympathischer. Am liebsten hätte ich mir auch die Brille hochgeschoben, nur trug ich leider keine. »Tja, gibt es denn sonst jemanden hier, den ich fragen könnte?«
Sie hielt kurz die Luft an und überlegte. Das Lächeln erstarb. Wäre ja auch ein Kunststück, gleichzeitig den Atem anzuhalten und zu lächeln. Wer’s nicht glaubt, sollte es einmal versuchen.
»Es tut mir sehr leid«, sagte sie abermals, »aber würden Sie sich bitte einen Moment gedulden?« Dann verschwand sie nach hinten. Dreißig Sekunden später kam sie in Begleitung eines Mittvierzigers in dunklem Anzug zurück. Dem Aussehen nach ein waschechter Hotelfachmann. Während meiner beruflichen Laufbahn war ich solchen Exemplaren zuhauf begegnet. Es handelt sich um eine merkwürdige Spezies mit fünfundzwanzig Variationen von Lächeln, die sie für alle möglichen Situationen parat haben. Vom kalten, höflichen Lächeln bis hin zum satten Grinsen der Genugtuung. Die Abstufungen sind durchnummeriert, von eins bis fünfundzwanzig, und kommen je nach Situation zum Einsatz, wie man Golfschläger auswählt.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte er mich und schenkte mir ein Lächeln mittleren Ranges mitsamt einer höflichen Kopfverbeugung. Als er meinen Aufzug sah, rutschte das Lächeln gleich drei Etagen tiefer. Ich trug meine fellbesetzte Jägerjoppe mit einem Keith-Haring-Anstecker auf der Brust, eine Fellkappe der österreichischen Alpentruppe, eine derbe Safarihose mit unzähligen Taschen und schneetaugliche, robuste Wanderstiefel. Alles anständige, praktische Klamotten, aber eben einen Tick zu strapazierfähig für diese
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