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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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anzündete.
    »Vielleicht solltest du ab und zu mit mir einen Ausflug machen.«
    »Ja, das wäre sicher gut.«
    »Soll ich dich morgen abholen?«
    »Au ja«, sagte Yuki. »Ich fühle mich jetzt schon wohler, nur vom Telefonieren.«
    »Freut mich.«
    »Freut mich«, äffte mich Yuki nach.
    »Hör auf!«
    »Hör auf!«
    »Bis morgen«, sagte ich und legte schnell auf, bevor sie es wiederholen konnte.
    Ame wirkte tatsächlich völlig abwesend. Sie saß auf dem Sofa, die Beine aufreizend übereinander geschlagen, und blätterte mit leerem Blick in einer Fotozeitschrift. Eine Szene wie auf einem impressionistischen Gemälde. Das Fenster stand offen, aber es war ein windstiller Tag, und kein Lüftchen bewegte die Vorhänge oder die Seiten des Magazins. Als ich ins Zimmer trat, hob Ame nur leicht den Kopf und lächelte unsicher. Es war lediglich der Hauch eines Lächelns, aber es schien die Luft zum Vibrieren zu bringen. Dann hob sie einen schlanken Finger und wies auf den Stuhl gegenüber. Die Haushälterin brachte Kaffee.
    »Ich habe Dicks Sachen bei seiner Familie abgeliefert«, sagte ich.
    »Haben Sie seine Frau gesehen?« fragte sie.
    »Nein. Ich habe den Koffer einfach dem Mann übergeben, der an die Haustür kam.«
    Ame nickte. »Ich danke Ihnen.«
    »Keine Ursache.«
    Sie schloss die Augen und legte die Hände vor dem Gesicht zusammen. Dann schlug sie die Augen wieder auf und blickte sich im Zimmer um. Nur wir beide waren im Raum. Ich griff nach meiner Kaffeetasse und trank einen Schluck.
    Ame trug diesmal nicht ihre übliche Arbeitskluft, Jeanshemd und abgewetzte Baumwollhosen, sondern eine weiße Bluse, mit edler Spitze besetzt, und einen hellgrünen Rock. Sie war ordentlich frisiert und hatte Lippenstift aufgetragen. Eine hübsche Frau. Anstelle ihrer sonst überschäumenden Vitalität war nun ein zerbrechlicher Charme spürbar, der sie wie Dunst umhüllte. Ein wabernder Dunst, der sich jeden Moment verflüchtigen konnte. Aber es sah nur so aus; in Wirklichkeit würde sie für immer davon umgeben sein. Ihre Schönheit war von ganz anderer Art als die ihrer Tochter, geradezu der Gegensatz dazu. Eine Schönheit, die sich durch langjährige Erfahrungen herausgebildet und verfeinert hatte – ihre Selbstbestätigung. Eine Schönheit, die mit ihrer Persönlichkeit identisch war. Sie war sich ihrer Schönheit bewusst und beherrschte die Kunst, sie für ihre Zwecke einzusetzen. Yukis Schönheit hingegen war meist absichtslos, sie wusste damit nichts anzufangen. Manchmal kommt mir der Gedanke, dass der Anblick einer attraktiven, reifen Frau doch zu den großen Freuden des Lebens gehört.
    »Wie kommt das nur?«, wunderte sich Ame laut, als betrachte sie etwas, das vor ihr in der Luft schwebte.
    Ich wartete schweigend darauf, dass sie weitersprach.
    »Wieso bin ich so niedergeschlagen?«
    »Jemand ist gestorben. Da ist es ganz natürlich, sich so zu fühlen. Schließlich ist der Tod eines Menschen ein tiefgreifendes Ereignis«, sagte ich.
    »Wahrscheinlich«, sagte sie matt.
    »Aber …«
    Ame sah mich an und schüttelte den Kopf. »Sie sind doch nicht dumm. Sie wissen, was ich sagen will, nicht wahr?«
    »Meinen Sie, dass es ein solcher Schock sein würde, hätten Sie nicht erwartet?«
    »Ja, so ungefähr.«
    Er war zwar kein bedeutender Mann. Und besonders talentiert war er auch nicht. Aber er war aufrichtig und hatte seine Pflichten lobenswert erfüllt. Ihnen zuliebe hatte er alles Kostbare in seinem Leben, was er sich über die Jahre schwer erarbeitet hatte, hingeworfen. Dann starb er. Und erst nach seinem Tod ist Ihnen klar geworden, was für ein wertvoller Mensch er war.
    Ich sprach meine Gedanken nicht aus. Manche Dinge sollte man für sich behalten.
    »Warum nur?«, sprach sie, das schwebende Etwas betrachtend. »Warum enden alle Männer, mit denen ich zu tun habe, so jämmerlich? Warum nimmt ihr Schicksal einen so seltsamen Verlauf? Warum bleibt mir nichts? Was läuft hier schief?«
    Das waren keine Fragen. Ich betrachtete den Spitzenkragen ihrer Bluse, der aussah wie die Furchen der sauberen Eingeweide eines edlen Tiers. Ihre Zigarette qualmte im Aschenbecher still vor sich hin, als sende sie lautlose Rauchzeichen aus. Der Rauch stieg steil empor und löste sich im Schweigen auf.
    Yuki kam ins Zimmer. Sie hatte sich umgezogen und sagte, sie wolle nun los. Ich stand auf und sagte zu Ame, wir gingen jetzt.
    Ame hörte nicht zu. »Mama, wir gehen jetzt«, rief Yuki aufgebracht.
    Ame hob den Kopf und nickte.

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