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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Rolle spielte, wirkte sein Auftritt sehr authentisch. Gekonnt erklärte er seinen Schülern die Atmungsfunktion einer Venusmuschel. Leicht verständlich, freundlich und humorvoll. Bewundernd verfolgte ich seinen Unterricht. Auch die junge Hauptdarstellerin saß mit aufgestütztem Kinn da und himmelte ihn fasziniert an. Ich nahm die Szene zum ersten Mal aufmerksam wahr, obwohl ich sie schon so oft gesehen hatte.
    »Ist das dein Freund?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Wirkt ja ziemlich platt.«
    »Du sagst es«, erwiderte ich. »Aber in Wirklichkeit ist er ganz in Ordnung. Nicht so blöd wie im Film. Ein kluger, interessanter Mann. Der Film ist einfach zu doof.«
    »Dann sollte er da nicht mitspielen«, sagte Yuki.
    »Treffendes Argument. Aber die Sache ist etwas komplizierter. Das zu erklären würde jetzt zu weit führen.«
    Die Story plätscherte dahin, allzu vorhersehbar und trivial. Triviale Dialoge, triviale Musik. Am liebsten hätte man den Streifen in einer Zeitkapsel mit der Aufschrift trivial in der Erde verbuddelt.
    Endlich war es so weit: Kikis Auftritt. Der Dreh- und Angelpunkt des ganzen Films. Die Bettszene: Gotanda schläft mit Kiki. Es ist Sonntagmorgen.
    Ich holte tief Luft und starrte gebannt auf die Leinwand. Das sonntägliche Morgenlicht fällt durch die Jalousien. Immer und immer wieder das gleiche Licht. Die gleiche Farbe, der gleiche Einfallswinkel, die gleiche Helligkeit. Ich kannte jedes Detail in- und auswendig. Ich konnte förmlich die Luft im Zimmer atmen. Gotanda ist im Bild. Er streichelt Kikis Rücken. Grazil und zärtlich gleiten seine Finger ihre Wirbelsäule hinunter, als verfolgten sie eine feine Gedächtnisspur. Kiki reagiert hochsensibel. Ein leises Beben durchläuft ihren Körper, wie das unmerkliche Flackern einer Kerze bei einem winzigen Lufthauch, der nicht einmal auf der Haut zu spüren wäre. Mir stockte der Atem. Großaufnahme von Gotandas Fingern auf Kikis Rücken. Dann der Kameraschwenk. Kikis Gesicht. Auftritt der Hauptdarstellerin. Wie sie die Treppe hochläuft, an die Tür klopft und sie öffnet. Ich wunderte mich erneut, dass die Wohnung nicht verschlossen war. Na ja, auch gut. Ist eben bloß ein Film. Und noch dazu ein trivialer. Jedenfalls betritt sie den Raum und erblickt Kiki und Gotanda eng umschlungen im Bett. Sie schließt die Augen, hält den Atem an, lässt die Dose mit dem Gebäck fallen und stürzt aus dem Zimmer. Gotanda richtet sich auf und starrt ihr fassungslos nach. Kikis Satz: »Was ist denn los?«
    Identisch. Genau wie immer.
    Ich schloss die Augen und stellte mir die Szene noch einmal vor: das Licht am Sonntagmorgen, Gotandas Finger, Kikis Rücken. Eine eigene Welt, die sich verselbständigt hat. Eine illusionäre Welt in einer fiktiven Raumzeit.
    Plötzlich bemerkte ich, dass Yuki sich vorgebeugt hatte, die Stirn auf der Lehne des Vordersitzes und die Arme gekreuzt vor der Brust, als wollte sie sich vor Kälte schützen. Völlig reglos. Sie gab keinen Laut von sich, schien nicht einmal zu atmen. Man hätte meinen können, sie sei zu Tode erstarrt.
    »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Nicht im Geringsten«, erwiderte sie mit gepresster Stimme.
    »Lass uns erst mal hier rausgehen«, sagte ich. »Schaffst du es?«
    Yuki nickte kaum merklich. Ich nahm sie an ihrem steifen Arm und zog sie aus dem Kino. Als wir an den Sitzreihen vorbei den Gang hinaufgingen, gab Gotanda hinter uns auf der Leinwand gerade Biologieunterricht. Draußen nieselte es. Die leichte Meeresbrise roch salzig. Ich stützte Yuki am Ellbogen und führte sie langsam zum Auto. Sie biss sich fest auf die Lippen und sagte kein Wort. Ich sprach sie nicht an. Bis zum geparkten Wagen waren es höchstens zweihundert Meter, aber die Strecke kam mir ungeheuer lang vor. Als bräuchten wir dafür eine Ewigkeit.

38
    Ich setzte Yuki auf den Beifahrersitz und kurbelte ihr das Seitenfenster herunter. Es nieselte immer noch, für das bloße Auge kaum sichtbar, nur der Asphalt färbte sich langsam schwarz. Es roch nach Regen. Einige Passanten hatten Schirme aufgespannt, andere gingen unbekümmert weiter. Kaum ein Lüftchen wehte. Ein lautloses Nieseln, das schnurgerade vom Himmel fiel. Als ich die Hand aus dem Fenster hielt, wurde sie nur leicht feucht, so hauchfein war der Regen.
    Yuki hatte den Ellbogen auf der Fensterkante und schaute mit aufgestütztem Kinn und halb abgewandtem Gesicht nach draußen. Eine Weile saß sie reglos da. Nur ihr Rücken hob und senkte sich im Rhythmus ihrer Atemzüge. Ein

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