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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Manchmal wurden Rückblenden eingeschoben, aber so ungeschickt, als würde ein Affe Knetmasse an die Wand klatschen. Zum Beispiel Dokumentaraufnahmen von Ausschreitungen im Audimax der Universität von Tokyo. Ich wollte leise »Kein Veto« dazwischenrufen, fand es dann aber doch albern.
    Gotanda spielte seine Rolle als seelisch Verwundeter mit sichtlichem Eifer. Der Film an sich war allerdings schlecht, der Regisseur ein Stümper. Die Hälfte des Drehbuchs bestand aus peinlichen Plattitüden, und die atemberaubend dämlichen Szenen zogen sich dann auch noch endlos in die Länge. Genauso hohl waren die Großaufnahmen vom Gesicht der Hauptdarstellerin. Da konnte er sich noch so sehr ins Zeug legen. Er begann mir langsam leid zu tun. Es tat richtig weh, ihm zuzuschauen. Aber wenn ich es mir recht überlegte, dann hatte er eigentlich auch früher schon solch ein bemitleidenswertes Leben geführt.
    Und dann gab es doch tatsächlich die klassische Bettszene, in der Gotanda eines Sonntagmorgens in seiner Wohnung mit einer Frau schläft und die Hauptdarstellerin mit selbst gebackenen Plätzchen oder Ähnlichem aufkreuzt. Du meine Güte, das hatte ich doch geahnt. Wie erwartet zeigte sich Gotanda auch im Bett als zärtlicher und aufmerksamer Liebhaber von seiner besten Seite. So schön kuschelig kann Sex sein. Der wundervolle Duft seiner Achselhöhlen. Vom Herumwälzen zerwühltes Haar. Er streichelt ihren nackten Rücken. Die Kamera schwenkt herum. Nun sieht man ihr Gesicht.
    Déjà-vu. Mir stockte der Atem. Es war Kiki. Ich erstarrte auf meinem Sitz. Hörte, wie hinter mir eine leere Flasche über den Boden rollte. Kiki! Genauso, wie ich sie mir neulich nachts auf dem dunklen Flur vorgestellt hatte. Sie schlief also tatsächlich mit Gotanda.
    Alles ist verbunden, dachte ich.
    Es war die einzige Szene, in der Kiki auftrat. Sonntagmorgens im Bett mit Gotanda. Das war’s. Gotanda hat sie in der Nacht zuvor irgendwo betrunken aufgegabelt und zu sich nach Hause abgeschleppt. Am Morgen tun sie es noch mal. Und da kreuzt dann seine junge Schülerin auf. Dummerweise hat er vergessen, die Tür abzuschließen. Das ist die ganze Szene. Kiki spricht nur einen Satz: »Was ist denn los?« Sie sagt es, nachdem das Mädchen geschockt davongerannt ist und Gotanda fassungslos neben ihr sitzt. Ziemlich dürftig, ihr Rollentext. Aber mehr hat sie nicht zu sagen. Nur: Was ist denn los?
    Ich war mir nicht sicher, ob es ihre eigene Stimme war. So genau hatte ich sie natürlich nicht mehr in Erinnerung, und die Kinolautsprecher waren miserabel. Doch ihr Körper war unverwechselbar. Die Form ihres Rückens, ihr Nacken, ihre geschmeidigen Brüste – genauso hatte ich Kiki in Erinnerung. Ich saß wie angewurzelt da und starrte hoch zu Kiki. Die Szene dauerte insgesamt vielleicht fünf, sechs Minuten. Kiki in Gotandas Armen, von ihm liebkost, die Augen selig geschlossen. Ein leiser Seufzer entfährt ihren leicht bebenden Lippen. Ich hätte nicht genau sagen können, ob es gespielt war oder nicht. Na ja, nehmen wir an, es war gespielt. Immerhin war es ein Film. Trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass Kiki das nur gespielt haben sollte. Es machte mich ganz konfus. Wenn sie die Szene nämlich tatsächlich nicht gespielt hatte, würde das bedeuten, dass sie bei Gotanda in Ekstase geriet. Falls aber doch, wäre der Sinn ihrer Existenz für mich in Frage gestellt. Sie durfte also gar nicht spielen. So oder so, ich kochte vor Eifersucht.
    Erst der Schwimmkurs und nun dieser Film. Ich reagiere auf alles Mögliche eifersüchtig. Ist das etwa ein gutes Zeichen?
    Nun öffnet das Mädchen die Tür. Sie sieht die beiden eng umschlungenen nackten Körper. Es verschlägt ihr den Atem. Sie schließt die Augen. Dann stürzt sie davon. Gotanda, fassungslos. Kikis Auftritt: »Was ist denn los?« Gotandas bestürztes Gesicht in Großaufnahme. Fade out.
    Nach dieser Szene erschien Kiki nicht mehr auf der Bildfläche. Ich vergaß die Handlung und starrte nur noch gebannt auf die Leinwand, aber Kiki tauchte nicht mehr auf. Sie lernte Gotanda kennen, schlief mit ihm und spielte nur in einer einzigen Szene seines Lebens mit, um dann zu verschwinden. Das war ihre Rolle. So wie sie es bei mir getan hatte: Sie taucht plötzlich auf, leistet mir kurz Gesellschaft und verschwindet dann wieder.
    Der Film war zu Ende, das Licht ging an. Musik ertönte. Ich saß immer noch wie versteinert da und starrte auf die leere Leinwand. Ist das etwa real? fragte ich mich. Der Film

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