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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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darum gebeten, während meiner Dienstzeit keinen Blödsinn mehr zu machen. Ich hasse solche Überfälle, wenn ich arbeite.«
    »Es war dumm von mir«, entschuldigte ich mich sofort. »Ich wollte einfach bloß mit dir reden. Deine Stimme hören. Es war ein alberner Scherz. Es sollte unverfänglich sein. Ich wollte ehrlich nur reden. Ich glaube nicht, dass ich dich damit in Schwierigkeiten gebracht habe.«
    »Das macht mich aber nervös. Das weißt du doch. Bei der Arbeit bin ich angespannt. Du sollst mich nicht stören, hörst du? Du hast doch versprochen, mich nicht mehr anzustarren. Also bitte …«
    »Ich habe dich doch gar nicht angestarrt. Nur angesprochen.«
    »Na gut, aber in Zukunft möchte ich auch nicht mehr in dieser Art von dir angesprochen werden. Tu mir den Gefallen!«
    »Versprochen. Ich schaue dich nicht an, ich spreche dich nicht an. Ich werde mucksmäuschenstill sein, mich nicht rühren. Wie Granit. Ach übrigens, hast du heute Abend Zeit? Oder ist diesmal der Bergsteigerkurs dran?«
    »Der Bergsteigerkurs?« Sie holte tief Luft. »Das soll wohl ein Witz sein!«
    »Ja, klar.«
    »Es gibt Zeiten, wo ich solche Witze nicht vertrage. Bergsteigerkurs. Hahaha.« Ihr Hahaha klang trocken und monoton, als läse sie eine Silbentafel ab. Sie legte auf.
    Ich wartete eine halbe Stunde ab, doch sie meldete sich nicht mehr. Wahrscheinlich war sie eingeschnappt. Mitunter brachten die Leute für meinen Humor kein Verständnis auf. Für meine Ernsthaftigkeit genauso wenig. Da mir nichts Besseres einfiel, beschloss ich, noch einmal durch die Stadt zu laufen. Wenn ich Glück hatte, würde ich vielleicht auf irgendetwas stoßen. Etwas Neues entdecken. Sich zu bewegen war immerhin besser als nur dumm herumzusitzen. Möge die Verstandeskraft mich nicht verlassen.
    Nach einer Stunde Herumlaufen war mir lediglich kalt geworden. Es schneite immer noch. Um halb drei kehrte ich bei McDonald’s ein, wo ich einen Cheeseburger mit Pommes frites aß und eine Cola trank. Ich mochte dieses Zeug überhaupt nicht, aber manchmal überkamen mich solche Gelüste aus heiterem Himmel. Vielleicht ist mein Organismus so programmiert, dass er in regelmäßigen Abständen nach Junkfood verlangt.
    Nach meinem McDonald’s-Besuch lief ich nochmals eine halbe Stunde durch die Gegend. Nichts geschah. Nur das Schneetreiben wurde heftiger. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke bis obenhin zu und wickelte mir den Schal bis über die Nasenspitze. Trotzdem fror ich. Außerdem musste ich dringend pissen. Kein Wunder, wenn ich bei diesem eiskalten Wetter eiskalte Cola trinke. Ich schaute mich um, ob es irgendwo einen Ort mit einer Toilette gab. Drüben auf der anderen Straßenseite entdeckte ich ein Kino. Es sah ziemlich heruntergekommen aus, aber na ja, eine Toilette würden sie ja wohl haben. Außerdem könnte ich mir danach einen Film anschauen, um mich aufzuwärmen, überlegte ich. Ich musste ohnehin die Zeit rumkriegen. Ich schaute mir die Plakate an. Japanische Filme im Doppelprogramm. Einer davon war Unerwiderte Liebe. Der Streifen, in dem mein Klassenkamerad mitspielte. Na schön, dachte ich.
    Nachdem ich mich erleichtert hatte, kaufte ich mir am Kiosk einen heißen Kaffee und ging in den Kinosaal. Wie erwartet war er völlig leer, aber warm. Ich suchte mir einen Platz und schaute mir Kaffee schlürfend den Film an. Unerwiderte Liebe lief bereits seit einer halben Stunde, aber der Plot war sonnenklar, auch wenn man den Anfang verpasst hatte. Genauso, wie ich es mir ausgemalt hatte. Mein Exmitschüler spielte einen langbeinigen, smarten Biologielehrer. Die Hauptdarstellerin war verknallt in ihn. Wie üblich geriet sie bei seinem Anblick in Verzückung. Und natürlich war da noch ein Junge, der in sie verknallt war und in seiner Freizeit Kendo praktizierte. Ein Déjà-vu im wahrsten Sinne des Wortes. Solch einen Film hätte selbst ich fabrizieren können.
    Diesmal hatte mein Klassenkamerad der in Wirklichkeit Ryoichi Gotanda hieß – ein unseliger Name, der Mädchenherzen nicht gerade zum Schmelzen brachte, weshalb ihm zum Glück ein imposanter Künstlername verpasst worden war – allerdings eine etwas komplexere Rolle zu bewältigen als sonst. Er war nämlich nicht bloß gut aussehend und nett, sondern litt unter dem Schatten seiner Vergangenheit. Es waren zwar auch nur Klischees – er hatte einer radikalen Studentenbewegung angehört und ein Mädchen geschwängert und sie dann im Stich gelassen –, aber immerhin besser als nichts.

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