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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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meiner damaligen Freundin, als sie fortging. Nein, sie ging nicht fort, sie kehrte vielmehr zurück. Kehrte zurück in die große weite Welt der Wirklichkeit.
    Und dann kam Kiki. Sie sollte der erste Prüfstein sein. Doch ihre Botschaft hatte sich unterwegs verflüchtigt.
    Womit also sollte ich beginnen?
    Ich schloss die Augen und wartete auf eine Antwort. Doch niemand spukte mir im Kopf umher. Kein Schafsmann, keine Möwen, kein grauer Affe. Es herrschte gähnende Leere. Ich hockte allein in diesem Vakuum. Niemand reagierte auf mich. In diesem Hohlraum war ich alt, verschrumpelt, ausgelaugt. Ich tanzte nicht mehr. Ein trauriger Ausblick.
    Es gelang mir einfach nicht, die Stationsnamen zu lesen.
    Wegen unvollständiger Angaben nicht zu beantworten. Bitte drücken Sie die Löschtaste!
    Die Antwort kam am nächsten Nachmittag. Wie üblich ohne Vorwarnung, plötzlich und unerwartet. Wie der Schlag des grauen Affen.

14
    Merkwürdigerweise – aber so merkwürdig war es vielleicht gar nicht – fiel ich in der Nacht um zwölf ins Bett und schlief sofort ein. Als ich die Augen wieder aufschlug, war es acht Uhr morgens. Trotz meines durcheinander geratenen Schlafrhythmus wachte ich pünktlich um acht Uhr auf. Als hätte ich mich einmal im Kreis gedreht, um wieder am Ausgangspunkt zu landen. Ich fühlte mich frisch und ausgeruht. Und hungrig. Also ging ich zu meinem geliebten Dunkin’ Donuts, wo ich meine üblichen zwei Becher Kaffee trank und zwei Donuts aß. Danach schlenderte ich ziellos durch die Stadt. Die Straßen waren gefroren, und zarte Schneeflocken rieselten federleicht herab. Der Himmel war unverändert mit dicken Wolken verhangen. Nicht gerade Ausflugswetter, aber ein Spaziergang durch die Stadt würde mich geistig etwas entspannen. Das schmerzhafte Druckgefühl war gewichen, und die strenge Kälte tat meiner Haut gut. Woher kam eigentlich die Hochstimmung? Ich hatte noch nicht eines meiner Probleme gelöst, und dennoch fühlte ich mich blendend.
    Als ich nach etwa einer Stunde ins Hotel zurückkehrte, entdeckte ich meine Freundin an der Rezeption, wo sie mit einer anderen Frau Dienst hatte. Ihre Kollegin kümmerte sich gerade um Gäste, meine Freundin telefonierte. Den Hörer am Ohr, antwortete sie mit einem professionellen Lächeln und drehte dabei mechanisch den Kugelschreiber zwischen ihren Fingern hin und her. Als ich sie da stehen sah, überkam mich plötzlich das heftige Verlangen, mit ihr zu reden. Möglichst über belangloses Zeug. Irgendetwas Unverfängliches, Albernes. Ich ging zu ihr hin und wartete, bis sie mit dem Telefonieren fertig war. Sie schaute mich zwar argwöhnisch an, behielt jedoch ihr professionelles Lächeln bei.
    »Was kann ich für Sie tun?« fragte sie mich höflich. Ich räusperte mich.
    »Verzeihen Sie, aber ich habe gehört, dass gestern Abend zwei Mädchen bei einem Schwimmkurs von einem Krokodil gefressen worden sind. Ist das wirklich wahr?« sagte ich aufs Geratewohl und versuchte dabei ein ernstes Gesicht zu machen.
    »Tja, was soll man da sagen?« Ihr Businesslächeln prangte wie eine künstliche Blume auf ihrem Gesicht. Doch ihr Blick verriet mir, dass sie wütend war. Ihre Wangen liefen rot an und ihre Nasenflügel spannten sich. »Uns ist darüber nichts bekannt. Entschuldigen Sie, aber wäre es nicht möglich, dass Sie sich da verhört haben?«
    »Es war ein Riesenalligator. Nach Zeugenaussagen soll er die Größe eines Volvo-Kombis gehabt haben. Er ist plötzlich durchs Glasdach hereingebrochen und hat die beiden Mädchen mit einem Bissen verschlungen. Danach hat er angeblich noch eine halbe Palme zum Nachtisch verspeist und sich dann verdrückt. Ich frage mich, ob man ihn schon eingefangen hat. Denn sonst, wenn ich jetzt rausgehe …«
    »Verzeihen Sie bitte«, unterbrach sie mich, ohne die Miene zu verziehen, »aber ich halte es für das Beste, wenn Sie direkt die Polizei anrufen. Die können Ihnen dann Genaueres zu dem Fall sagen. Oder Sie gehen von hier aus ein Stück nach rechts zur nächsten Polizeistation. Dort können Sie sich ebenfalls erkundigen.«
    »Ja, eine gute Idee. Das werde ich tun«, sagte ich. »Vielen Dank für Ihren Rat. Möge die Verstandeskraft Sie nicht verlassen.«
    »Gern geschehen«, parierte sie cool, während sie ihre Brille zurechtschob.
    Kurz nachdem ich auf mein Zimmer zurückgekehrt war, rief sie mich an.
    »Was sollte das eben?« Mit beherrschter Stimme versuchte sie ihren Zorn zurückzuhalten. »Ich hab’ dich doch erst neulich

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