Tanz mit dem Schafsmann
war vorbei, also konnte es doch unmöglich real gewesen sein. Wieso tritt Kiki in dem Film auf? Und dann noch mit Gotanda. Das ist doch absurd. Irgendwo muss mir ein Fehler unterlaufen sein. Ich bin in den falschen Stromkreis geraten. Irgendwie sind Imagination und Wirklichkeit durcheinander geraten. Wie soll ich mir das sonst erklären?
Nachdem ich das Kino verlassen hatte, lief ich erneut durch die Gegend. Die ganze Zeit musste ich an Kiki denken. »Was ist denn los?«, flüsterte sie mir ins Ohr.
Was ist denn los?
Es war Kiki. Irrtum ausgeschlossen. Wenn sie mit mir schlief, hatte sie genauso ausgesehen, das Beben ihrer Lippen, ihre Seufzer. Das war nicht gespielt, sondern Wirklichkeit. Aber es war doch ein Film!
Ich verstand nichts mehr.
Je mehr Zeit verstrich, umso weniger traute ich meiner Erinnerung. Hatte ich das alles nur halluziniert?
Anderthalb Stunden später ging ich noch einmal in das Kino, um mir den Film erneut anzuschauen, diesmal von Anfang an. Sonntagmorgen, Gotanda liegt mit einer Frau im Bett. Man sieht ihren Rücken. Kameraschwenk. Jetzt erkennt man ihr Gesicht. Es ist Kiki. Irrtum ausgeschlossen. Die Hauptdarstellerin betritt das Zimmer. Schließt die Augen. Hält den Atem an. Läuft weg. Gotanda schaut fassungslos. Kiki sagt: »Was ist denn los?« Fade out.
Exakt das Gleiche.
Aber auch diesmal wollte ich es nicht glauben. Irgendetwas lief hier falsch. Wieso schlief Kiki mit Gotanda?
Am nächsten Tag ging ich ein drittes Mal in dieses Kino. Ich saß wie angewurzelt auf meinem Sitz und schaute mir von Neuem Unerwiderte Liebe an. Fieberte der Szene entgegen, kribbelnd vor Ungeduld. Schließlich ist es soweit. Sonntagmorgen, Gotanda liegt mit einer Frau im Bett. Man sieht ihren Rücken. Kameraschwenk. Jetzt sieht man ihr Gesicht. Es ist Kiki. Irrtum ausgeschlossen. Die Hauptdarstellerin betritt das Zimmer. Hält den Atem an. Schließt die Augen. Läuft weg. Gotanda schaut fassungslos. Kiki sagt: »Was ist denn los?«
Ich saß im Dunkeln und stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus.
Na schön, es ist die Wirklichkeit. Irrtum ausgeschlossen. Alles ist verbunden.
15
Ich sank in den Sitz zurück, faltete die Hände vor meiner Nase und stellte mir die allbekannte Frage: Was soll ich jetzt tun?
Immer wieder das Gleiche. Ich sollte einmal ganz ruhig darüber nachdenken. Meine Gedanken ordnen. Um herauszufinden, was es nun zu tun galt.
Die durcheinander geratenen Verbindungen entwirren.
Ganz bestimmt ist etwas durcheinander geraten. Da bin ich mir sicher. Kiki, Gotanda und ich sind miteinander verstrickt. Ich habe keine Ahnung, weshalb. Doch zwischen uns dreien besteht eine Verbindung. Die muss aufgelöst werden. Die Wiederherstellung meines Ichs durch Rekonstruktion der Wirklichkeit. Vielleicht sind die Verbindungen auch gar nicht durcheinander geraten, sondern es handelt sich um eine ganz neue Verknüpfung. Doch so oder so, ich muss diesen Strang verfolgen. Ganz vorsichtig, damit die Fäden nicht zerreißen.
Das ist der Schlüssel. Auf jeden Fall in Bewegung bleiben. Nicht auf der Stelle treten. Weitertanzen. So gut tanzen, dass alle beeindruckt sind.
Tanzen, hatte der Schafsmann gesagt.
Tanzen, hallte es in meinen Gedanken.
Es ist Zeit, nach Tokyo zurückzukehren. Hier gibt es für mich nichts mehr zu tun. Mein Besuch im Hotel Delfin hat seinen Zweck erfüllt. In Tokyo werde ich mit einer neuen Einstellung die Knoten entwirren. Ich schloss den Reißverschluss meiner Jacke, zog meine Handschuhe an, setzte meine Mütze auf und wickelte mir den Schal um die Nase, bevor ich das Kino verließ. Es schneite so heftig, dass man fast nichts mehr erkennen konnte. Die ganze Stadt war hoffnungslos erstarrt, wie ein eingefrorener Leichnam.
Als ich ins Hotel zurückkam, rief ich bei All Nippon Airways an und buchte den ersten Nachmittagsflug nach Narita.
»Wegen des heftigen Schneetreibens müssen Sie eventuell mit Verspätung oder sogar mit kurzfristiger Streichung des Fluges rechnen«, erklärte mir die Frau bei der Reservierung. Macht nichts, sagte ich. Jetzt, da ich meine Rückkehr beschlossen hatte, wollte ich so schnell wie möglich weg. Ich packte meine Sachen zusammen und ging hinunter, um die Rechnung zu bezahlen. Meine Freundin mit der Brille war an der Rezeption, und ich bat sie nach hinten zum Stand der Autovermietung.
»Ich muss wegen einer dringenden Angelegenheit nach Tokyo zurück«, erklärte ich. »Vielen Dank für Ihren Aufenthalt hier. Besuchen Sie uns einmal wieder«,
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