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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sorgen. Vielleicht war ich zu albern, aber ich habe mir alle Mühe gegeben, witzig zu sein. Mitunter finden es die anderen natürlich nicht so komisch, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber ich meine es nie boshaft. Ich mache mich überhaupt nicht über dich lustig. Es ist nun mal meine Art, Scherze zu machen.«
    Sie kräuselte die Lippen und schaute mich an. Mit einem Blick, als stünde sie auf einem erhöhten Platz und sehe sich an, was die Überschwemmung angerichtet hat. Dann sagte sie halb seufzend, halb schnaubend: »Ach übrigens, könntest du mir bitte vorsichtshalber deine Visitenkarte geben? Damit man weiß, in wessen Obhut das Mädchen ist. Nur für den Fall.«
    »Nur für den Fall«, brummte ich vor mich hin und zog eine Visitenkarte aus meiner Geldbörse, die ich ihr überreichte. Sogar ich trug für alle Fälle Visitenkarten bei mir. Ungefähr ein Dutzend Leute hatten mir den Rat gegeben, wenigstens Visitenkarten bei mir zu haben. Sie musterte die Karte, als hätte sie einen Putzlappen vor sich.
    »Und dürfte ich auch erfahren, wie du heißt?« fragte ich.
    »Das sage ich dir, wenn wir uns wiedersehen«, sagte sie. Und schob mit dem Mittelfinger ihre Brille hoch. »Falls wir uns wiedersehen …«
    »Na selbstverständlich«, entgegnete ich.
    Ein ganz leises Lächeln, still wie der Neumond, kam zurück.
    Zehn Minuten später erschien das Mädchen mit dem Hotelpagen in der Empfangshalle. Der Boy schleppte zwei riesige Samsonite-Koffer, in denen jeweils ein aufrecht stehender deutscher Schäferhund Platz gehabt hätte. In der Tat etwas zu groß, als dass man ein dreizehnjähriges Mädchen damit allein zum Flughafen hätte ziehen lassen können. Heute trug sie ein Sweatshirt mit der Aufschrift TALKING HEADS. Dazu enge Bluejeans, Boots und eine edle Pelzjacke. Sie strahlte die gleiche sonderbar ätherische Schönheit aus wie neulich Abend. Eine überaus fragile Schönheit, die ohne weiteres am nächsten Tag schon verschwunden sein konnte. So subtil, dass sie mich als Betrachter verunsicherte. TALKING HEADS. Kein schlechter Name für eine Band. Hätte aus einem Roman von Kerouac stammen können.
    »Der sprechende Kopf neben mir trank Bier. Ich musste dringend pissen. ›Ich muss dringend pissen‹, sagte ich zu dem sprechenden Kopf.«
    Der gute alte Kerouac. Was der wohl jetzt treibt?
    Das Mädchen schaute mich an. Diesmal lächelte sie nicht. Sie blickte stirnrunzelnd zu meiner Freundin mit der Brille hinüber.
    »Keine Angst, der ist in Ordnung«, sagte meine Freundin.
    »Ich bin nicht so übel, wie ich aussehe«, fügte ich hinzu.
    Das Mädchen schaute wieder zu mir. Dann nickte sie gelangweilt, als wollte sie sagen: Ja, ja, schon gut. Mir bleibt ohnehin keine andere Wahl. Das gab mir das Gefühl, ich täte ihr etwas ganz Schlimmes an. Ich kam mir irgendwie vor wie der alte Scrooge.
    Der alte Scrooge.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte meine Freundin. »Der Onkel ist ein echter Spaßvogel und außerdem sehr einfühlsam. Zu Frauen ist er äußerst galant. Im Übrigen ist er ein Freund von mir. Du brauchst dich also nicht zu fürchten.«
    »Onkel?« japste ich. »So alt bin ich ja nun auch nicht. Mit vierunddreißig ist man doch noch kein Onkel. Das ist gemein.«
    Aber ich wurde gar nicht mehr beachtet. Meine Freundin nahm das Mädchen bei der Hand und rauschte mit ihr zu der Limousine, die vor dem Portal wartete. Der Hotelpage hatte die Samsonite-Koffer bereits im Kofferraum verstaut. Ich trottete mit meiner Tasche hinterher.
    Onkel . Eine Frechheit.
    Wir waren die beiden einzigen Fahrgäste in der Transferlimousine. Das Wetter war mehr als grausig. Sämtliche Straßen zum Flughafen waren vereist und verschneit. Antarktische Verhältnisse.
    »Sag mal, wie heißt du eigentlich?«, fragte ich das Mädchen.
    Sie schaute mich an und schüttelte nur kurz den Kopf. Das sollte wohl Oh Mann! bedeuten. Dann schaute sie sich langsam um, als suche sie etwas, und sagte schließlich: »Yuki.«
    »Schnee?«
    »Ja, so heiße ich. Yuki.«
    Daraufhin kramte sie ihren Walkman heraus und tauchte in ihre musikalische Privatsphäre ab. Bis zum Flughafen würdigte sie mich keines Blickes mehr.
    Gemein, dachte ich. Später erfuhr ich zwar, dass sie wirklich Yuki hieß, aber im Moment glaubte ich, sie hätte den Namen spontan erfunden. Ich fühlte mich natürlich gekränkt. Sie holte sich ein paar Mal einen Kaugummi aus der Tasche, ohne mir einen anzubieten. Zwar war ich nicht sonderlich scharf auf Kaugummis, aber sie hätte

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