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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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mit Schülern. Ich schien der einzige seriöse Erwachsene zu sein. Sie kamen nur, um die Teenie-Hauptdarstellerin und den Popsänger zu sehen, Handlung und Niveau des Films interessierten sie wenig. Sobald ihre Idole auf der Leinwand erschienen, schallten hysterische »Wow«-Rufe durch den Saal. Es herrschte ein Tumult wie in einem Tierasyl. Selbst wenn die Idole gerade nicht zu sehen waren, lärmten sie herum, raschelten mit Tüten, schmatzten, schwatzten und kabbelten sich. Ich hätte den ganzen Laden am liebsten in Brand gesteckt.
    Wenn der Film anfing, las ich aufmerksam den Vorspann und fand Kikis Namen, ganz klein geschrieben.
    Sobald die bewusste Szene vorbei war, schlenderte ich auf meiner üblichen Route durch das Viertel. Zwischendurch legte ich Kaffeepausen ein. Der Frühling mit seinen linden Lüften hatte unzweifelhaft Einzug gehalten. Die Erde drehte sich pflichtbewusst und unverdrossen um die Sonne. Ein kosmisches Mysterium. Es erstaunte mich jedes Mal aufs Neue, dass der Frühling auf den Winter folgte. Und damit verbunden dieser einmalige Duft. Jahr für Jahr war es immer der gleiche Geruch. Ungemein subtil, aber unverwechselbar.
    Die Stadt war zugekleistert mit Wahlplakaten. Unansehnliche Visagen. Lautsprecherwagen waren unterwegs. Man verstand überhaupt nichts. Nur Geplärr. Ich dachte die ganze Zeit an Kiki. Irgendwann fiel mir auf, dass Bewegung in meine Beine kam, meine Schritte leichtfüßiger wurden. Auch mein Denkvermögen war schärfer als zuvor. Ich ging langsam, aber ich kam voran. Ich hatte ein Ziel, und dadurch fiel mir das Gehen auf natürliche Weise leicht. Ein gutes Zeichen. Tanzen, dachte ich. Das ewige Grübeln hatte keinen Sinn. Hauptsache voranschreiten, das eigene System in Schwung halten. Aufmerksam hinschauen, wohin mich der Fluss als Nächstes brachte. Im Diesseits bleiben.
    Die letzten Märztage verliefen ruhig. Von außen betrachtet, gab es keine Fortschritte. Ich erledigte Einkäufe, bereitete mir meine bescheidenen Mahlzeiten zu, ging ins Kino, um mir Unerwiderte Liebe anzuschauen, und unternahm lange Spaziergänge. Wieder zu Hause, hörte ich die Anrufe ab, aber sie waren nur geschäftlicher Art. Nachts las ich und trank allein. Jeder Tag war eine Wiederholung des vorigen. Der oft besungene April – sei es von T. S. Eliot in Gedichten oder von Count Basie – stand vor der Tür. Wenn ich nachts ohne Gesellschaft trank, kreisten meine Gedanken um die Nacht mit May, dem Zicklein, Schneeschaufeln. Eine merkwürdig isolierte Erinnerung, ohne jegliche Verbindung. Weder zu Gotanda noch zu Kiki. Wie ein Traum, und dennoch real. Bis in das kleinste Detail. In gewissem Sinne viel lebendiger als die Wirklichkeit, nur eben zusammenhanglos. Ein Ereignis, an das ich gern zurückdachte. Eine Berührung der Seelen in reduzierter Form. Das Wir-sind-doch-alle-Freunde- Lächeln. Frühstück auf dem Campingplatz. Kuckuck .
    Ich versuchte mir vorzustellen, wie Kiki und Gotanda zusammen geschlafen haben mochten. Hatte sie mit ihm die gleichen erotischen Spiele getrieben wie May mit mir? Beherrschten alle Mädchen im Club diese Praktiken als ihr berufliches Know-how? Oder waren sie die ganz persönliche Note von May? Wie sollte ich das herausfinden? Gotanda konnte ich schlecht fragen. Damals, als Kiki mit mir zusammenlebte, war sie in Sachen Sex eher passiv gewesen. Sie erwiderte meine Umarmungen leidenschaftlich, ergriff jedoch niemals von sich aus die Initiative oder äußerte einen speziellen Wunsch. Sie konnte völlig loslassen und genießen, und ich fand diese Art von Sex auch niemals unbefriedigend. Es war wundervoll, sie so entspannt in meinen Armen zu halten. Ihr geschmeidiger Körper, ihre friedlichen Atemzüge, ihre heiße Vagina. Ich konnte mich nicht beklagen. Nur konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie jemandem – Gotanda zum Beispiel – Sex als Dienstleistung anbot. Wahrscheinlich reichte meine Phantasie hier einfach nicht aus. Wie hielten Prostituierte eigentlich ihr privates und professionelles Sexleben auseinander? Das war für mich ein Rätsel. Wie ich Gotanda gesagt hatte, hatte ich vor May noch nie käuflichen Sex mit einer Frau gehabt. Ich habe mit Kiki geschlafen. Und Kiki war ein Callgirl. Aber ich habe nicht mit dieser Kiki geschlafen, sondern mit der Privatperson. Andersherum habe ich mit dem Callgirl May Sex gehabt, aber nicht mit der privaten May. Es hatte also wenig Sinn, diese beiden Fälle zu vergleichen. Solche Überlegungen machten die Sache nur noch

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