Tanz mit dem Schafsmann
möchten Ihnen ein paar Fragen stellen und Sie deshalb bitten, mit aufs Revier zu kommen«, sagte Schöngeist.
»Fragen? Zu was denn?«, wollte ich wissen.
»Alles zu seiner Zeit«, erwiderte er. »Erst müssen einige Formalitäten erledigt werden, also ist es besser, wenn wir uns gleich zum Revier begeben.«
»Ich darf mich aber noch anziehen, ja?«
»Aber sicher doch«, sagte Schöngeist, ohne die Miene zu verziehen. Monotone Stimme, ausdrucksloses Gesicht. Gotanda hätte einen besseren Kommissar abgegeben. Noch echter. So sah also die Realität aus.
Während ich mich im Zimmer anzog, warteten die beiden vor der offen stehenden Tür. Ich zog meine übliche Montur an: Bluejeans, grauer Pullover und Tweedjackett. Föhnte mir die Haare, steckte Portemonnaie, Ausweis und Schlüssel ein, schloss die Fenster, drehte den Gashahn zu, schaltete das Licht aus und den Anrufbeantworter ein. Dann zog ich meine dunkelblauen Topsider an. Die beiden beobachteten gebannt, wie ich in die Schuhe schlüpfte. Fischer hatte immer noch seinen Fuß in der Tür.
Der Streifenwagen war unauffällig abseits vom Hauseingang geparkt. Am Steuer saß wie erwartet ein uniformierter Polizist. Zuerst stieg Fischer ein, dann ich und zum Schluss Schöngeist. Schon wieder wie im Film. Schöngeist schloss schweigend die Tür, und los ging die Fahrt.
Die Straßen waren verstopft, aber der Streifenwagen zuckelte langsam ohne Sirene weiter. Als säße man im Taxi, nur ohne Taxameter. Wir standen mehr im Stau, als dass wir fuhren, was den anderen Fahrern reichlich Gelegenheit bot, zu mir herüberzustarren. Niemand sagte ein Wort. Fischer saß mit verschränkten Armen da und stierte vor sich hin. Schöngeist blickte angestrengt grimassierend aus dem Fenster, als würde er Landschaftsschilderungen einstudieren. Wie mochten die wohl lauten? Düstere Elegien, deren Worte keiner verstand.
Der Frühling als Begriff – mit den dunklen Fluten wälzt er sich heran. Seine Ankunft entfacht Leidenschaft in den Gemütern namenloser Massen, die eingepfercht in den Ritzen der Stadt hausen. Fegt sie lautlos in den Treibsand der Unfruchtbarkeit.
Die Passage musste raus aus meinem Kopf – Satz für Satz wieder gelöscht werden. Was zum Teufel sollte Der Frühling als Begriff bedeuten? Oder Treibsand der Unfruchtbarkeit ? Weshalb heckte ich solchen Blödsinn aus? Aufhören! Aber sofort. In Shibuya wälzten sich immer noch Massen von stumpfsinnigen Mittelschülern in schriller, clownesker Aufmachung durch die Straßen. Keine Leidenschaft, kein Treibsand, nichts.
Auf dem Polizeirevier wurde ich in einen Vernehmungsraum im ersten Stock geführt. Er war höchstens neun Quadratmeter groß und hatte ein winziges Fenster, durch das kaum Licht fiel, da das Nachbargebäude zu dicht daneben stand. Es gab einen Tisch, zwei Bürostühle sowie zwei Plastikhocker. An der Wand hing eine Uhr, deren Schlichtheit nicht mehr zu unterbieten war. Das war alles. Kein Kalender, kein Bild, kein Aktenschrank, keine Blumenvase, kein Spruch, kein Teegeschirr. Nur Tisch, Stühle und eine Uhr. Auf dem Tisch ein Aschenbecher, ein Behälter mit Stiften und am Rand ein Aktenstapel. Als die beiden den Raum betraten, zogen sie ihre Mäntel aus und legten sie zusammengefaltet auf die Plastikhocker. Sie ließen mich auf einem der stählernen Bürostühle Platz nehmen. Fischer setzte sich mir gegenüber, Schöngeist stand etwas abseits und blätterte in seinem Notizbuch. Die beiden sagten vorerst kein Wort, und ich schwieg ebenfalls.
»Also, was haben Sie gestern Abend gemacht?«, begann Fischer nach einer geraumen Weile. Es war das erste Mal, dass er den Mund aufmachte.
Gestern Abend? Was hatte ich denn da gemacht? Ich konnte den gestrigen Abend von dem Abend davor nicht unterscheiden, ebenso wenig wie diesen von allen vorangehenden. Traurig, aber wahr. Ich versuchte mich zu besinnen. Das brauchte Zeit.
»Hören Sie«, sagte Fischer und räusperte sich. »Wenn Sie uns hier mit dem Gesetz und all dem Krempel kommen, kann die Angelegenheit sehr langwierig werden. Ich habe Ihnen eine simple Frage gestellt: Was haben sie von gestern Abend bis heute Morgen gemacht? Es kann doch nicht so schwer sein, darauf eine Antwort zu geben, oder?«
»Ich versuche mich ja gerade zu besinnen«, sagte ich.
»Dazu müssen Sie nachdenken? Es war gestern. Wir haben Sie nicht nach dem letzten August gefragt. Da gibt’s doch nichts zu überlegen«, höhnte Fischer.
Deshalb kann ich mich ja auch nicht erinnern,
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