Tanz mit dem Schafsmann
bereits in meinen Armen eingeschlummert. Sie wirkte jetzt gar nicht mehr wie die umwerfende Traumfrau, sondern war ein ganz normales, zerbrechliches Mädchen. Wie beim Klassentreffen, dachte ich. Meine Uhr zeigte vier Uhr, und alles war totenstill. May, das Zicklein und Puh, der Bär. Images, nichts weiter. Märchen auf Spesen. Police. Was für ein Tag! Was sich verbinden will, verbindet sich doch nicht ganz. Dem Faden folgen, bis er plötzlich reißt. Ich habe Gotanda wiedergesehen und sogar eine gewisse Zuneigung zu ihm entwickelt. Ich habe May, das Zicklein kennen gelernt. Wir haben zusammen geschlafen. Es war wundervoll. Ich wurde Puh, der Bär. Sinnliches Schneeschaufeln. Aber es wird zu nichts führen.
Ich ging in die Küche, um Kaffee zu kochen, worauf die anderen drei wach wurden und aufstanden. Es war halb sechs. May trug einen Bademantel, Mami kam in Gotandas Paisley-Pyjamajacke und Gotanda in der dazugehörenden Hose. Ich selbst hatte mich schon angezogen – Jeans und T-Shirt. Wir setzten uns an den Frühstückstisch, tranken Kaffee und reichten uns Butter und Marmelade für die Toasts. Auf UKW lief Barockmusik für Sie. Henry Purcell.
»Wie auf dem Campingplatz«, sagte ich.
»Kuckuck«, rief May.
Um halb sieben rief Gotanda für die Mädchen ein Taxi. May küsste mich zum Abschied und sagte: »Falls du Kiki wiedersiehst, bestell ihr liebe Grüße von mir.« Ich gab ihr meine Visitenkarte und bat sie, mich anzurufen, wenn sie etwas erfahren sollte. Sie nickte und zwinkerte mir zu. »Vielleicht ergibt sich noch mal eine Gelegenheit zum gemeinsamen Schneeschaufeln.«
»Zum Schneeschaufeln?« fragte Gotanda.
Gotanda und ich setzten uns wieder an den Tisch und tranken frischen Kaffee. Ich bin nämlich ein exzellenter Kaffeekocher. Die Sonne war lautlos aufgegangen, und der Tokyo Tower funkelte in der Ferne. Es erinnerte mich an eine alte Nescafé-Werbung. Bestimmt die gleiche Kulisse. Tokyo beginnt seinen Morgen mit Nescafé … oder so ähnlich. Egal. Jedenfalls funkelte jetzt der Tokyo Tower, und wir tranken Kaffee.
Um diese Zeit hetzen normale Leute zur Arbeit oder zur Schule. Wir hingegen nicht. Ich hatte die Nacht mit einer professionellen Traumfrau verbracht und trank jetzt verkatert Kaffee. Vermutlich würde ich gleich selig schlafen. Ob man es nun gut finden mag oder nicht, Gotanda und ich waren vom normalen Lebensstil ausgeschlossen.
»Was hast du heute noch so vor?«, fragte er mich.
»Nach Hause gehen und erst mal ausschlafen«, sagte ich. »Sonst nichts.«
»Ich werde jetzt ebenfalls ein Nickerchen machen. Mittags habe ich einen Termin. Besprechung der Dreharbeiten.«
Dann schwiegen wir eine Weile und betrachteten den Tokyo Tower.
»Und, hat’s Spaß gemacht?«, fragte mich Gotanda etwas später.
»Oh ja«, erwiderte ich.
»Hast du was über Kiki rausbekommen?« Ich schüttelte den Kopf. »Nur, dass sie plötzlich verschwunden sei. Wie du sagtest. Nirgends eine Spur von ihr. Selbst May kennt ihren richtigen Namen nicht.«
»Ich werde mich mal bei der Filmgesellschaft umhören«, sagte er. »Vielleicht kriege ich ja da etwas heraus.«
Er verzog leicht den Mund und kratzte sich mit dem Teelöffelstiel an der Schläfe. Seine weibliche Fangemeinde wäre hingerissen gewesen.
»Was willst du eigentlich tun, falls du sie wiedersiehst? Neu anfangen? Oder ist es nur eine nostalgische Anwandlung?«
Das wüsste ich auch nicht, sagte ich. So weit hatte ich noch nicht gedacht.
Als wir den Kaffee ausgetrunken hatten, brachte mich Gotanda in seinem makellosen, braunen Maserati nach Shibuya. Ich hatte ein Taxi nehmen wollen, aber er bestand darauf. Es sei ja nicht weit.
»Hast du was dagegen, wenn ich mich demnächst wieder bei dir melde? Es war toll, mit dir zu reden. Ich kenne sonst niemanden, mit dem ich mich so unterhalten kann. Wenn es dir nichts ausmacht, können wir uns doch bald mal wieder treffen?«
»Klar«, sagte ich. Ich dankte ihm für die Steaks, die Drinks, die Mädchen und so weiter. Er schüttelte nur sacht den Kopf. Wortlos, aber ich verstand schon, was er meinte.
20
Die folgenden Tage verliefen ereignislos. Täglich kamen mehrere geschäftliche Anrufe, die ich jedoch nur über meinen Anrufbeantworter entgegennahm, ohne mich zurückzumelden. Gut zu wissen, dass ich immer noch so gefragt war. Ich machte mir Essen und schlenderte durch Shibuya, wo ich mir Tag für Tag Unerwiderte Liebe anschaute. Es waren immer noch Ferien, und das Kino war gerammelt voll, hauptsächlich
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