Tapas zum Abendbrot
dagegen befinde mich in der genau entgegengesetzten Situation: Mein Freund ist für mich nach Deutschland gekommen. Ich bin diejenige, die sich um ihn kümmern muss, ihm auch mal etwas bieten will, die sich Sorgen macht, ob er hier wohl Wurzeln wird schlagen können. Nicole und ich sind beide an einem Punkt, an dem wir merken: International zu lieben, das ist nicht immer nur aufregend und wunderschön. Es ist manchmal auch aufreibend und anstrengend.
Vor mir auf dem Bildschirm leuchtet ein orangefarbenes Fenster auf. Nicole hat geantwortet.
NICOL E_IN_DENMARK: Doofe Fluglotsen. Die sollen sich mal zusammenreiÃen. Was macht ihr eigentlich, wenn â¦?
Tja, was machen wir, wenn?
Roberto hat seine Notfallpläne schon akkurat ausgearbeitet. Er hat bei Mietwagenfirmen in Spanien angerufen und seinen Freunden versichert, er würde sich an den Spritkosten beteiligen. Er hat den besten Weg nach Norddeutschland herausgesucht und auf einer Karte eingezeichnet, hat die Kilometer und die voraussichtliche Fahrtzeit ausgerechnet. Alle wissen jetzt, wann sie spätestens abfahren müssten, um pünktlich zu unserer Trauung zu erscheinen. Weil Roberto nichts dem Zufall überlässt, hat er auch mögliche Staus einkalkuliert. Für die Strecke von Berlin bis zum Haus meiner Eltern in Mecklenburg hat er eine detaillierte Wegbeschreibung verfasst.
Manchmal ist mein Freund wirklich deutscher als jeder Deutsche.
Nicht, dass das eine neue Erkenntnis wäre. Schon ganz am Anfang unserer Beziehung merkte ich: Dieser Spanier ist nicht so, wie man sich einen typischen Südländer eben vorstellt. Es war einer meiner ersten Tage in einem Stockholmer Wohnheim, ich hatte gerade mein Erasmus-Jahr in der schwedischen Hauptstadt angetreten. An diesem Tag stellte sich mir Roberto als neuer Mitbewohner vor, verstaute seine Koffer im Zimmer zwei Türen weiter, betrat die Gemeinschaftsküche und legte nach einem Blick auf FuÃboden und Armaturen die Stirn in Falten. Kurz darauf sah ich ihn mit dem Wischmopp den Boden bearbeiten. Seine Erklärung: »Itâs not clean enough.«
Nein, es war wirklich nicht sauber in unserer Wohnheimküche. Aber bis jetzt hatte noch niemand den Enthusiasmus aufgebracht, den es braucht, um einen leicht klebrigen FuÃboden und verkrustete Herdplatten zu schrubben. War ja nicht unser Dreck, wir Erasmus-Studenten waren ja gerade erst eingezogen. Wir alle fanden uns damit ab, sowohl die Deutschen als auch die Südkoreanerin und die Schweden, mit denen wir uns die Küche teilten. Und ausgerechnet der Spanier zeigte uns nun, wie Sauberkeit ging.
Und er macht das noch heute.
Damals musste ich mein erstes Vorurteil gegenüber »Südländern« revidieren. Ja, sie waren gern laut, ja, sie feierten gern â aber nein, in puncto Ordnung lieÃen sie fünfe nicht gerade sein. Heute weià ich: Der Sauberkeitstick ist ein landesweites Phänomen. Noch nie ist mir so viel Chlor begegnet wie in Spanien, noch nie eine solche Masse an Putzmitteln.
Ich merkte aber auch schnell, dass man mit diesem Mann aus dem Süden viel Spaà haben konnte. Bald lachten wir auffällig viel miteinander, ich kokettierte, er schmeichelte, einmal legte ich beim Fernsehen spielerisch meinen Kopf auf seine Schulter, ein andermal hakte ich mich beim Gehen bei ihm ein â und dann kam der Abend auf dieser Studentenparty. Wahrscheinlich war es doch eher eine Erasmus-Party, denn mehr als die Hälfte der Feiernden kam aus Holland, Frankreich, GroÃbritannien oder Italien. Wir tanzten viel, tranken süÃen Apfelwein, weil alle anderen Alkoholika sündhaft teuer waren, der DJ spielte ein Dirty-Dancing-Best-of, später liefen andere alte Klassiker â und Roberto und ich verringerten nach und nach den Abstand zwischen uns. Irgendwann waren da nur noch wenige Zentimeter. Als wir uns küssten, johlten und applaudierten mehrere Spanier in einer Ecke. Wir waren beobachtet worden; so war das nun mal in der Erasmus-Welt. Alles schien leicht, unkompliziert, eine Wolke der Unbeschwertheit. In diesen Wochen fanden sich viele Paare. Manchmal nur für eine Nacht, manchmal für länger. Ob es halten würde, ob es überhaupt halten könnte, darüber machte sich kaum jemand Gedanken. Es war eine andere Welt, eine kuschelige Sphäre abseits vom Alltag daheim.
Und so kam es, dass ich mich in Roberto verliebte.
Anfangs dachte ich noch, das Ganze sei nur SpaÃ, ein
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