Tapas zum Abendbrot
der Staat.
Wir gegen den Rest der Welt
»Carl, was will der?« Panisch umfasst Annika das Lenkrad ihres VW Käfers. Sie ist gerade in einen Tunnel gefahren, und plötzlich fährt der groÃe Geländewagen neben ihr immer näher an sie heran. Immer wieder nimmt er Anlauf, drängt sie nach rechts ab. Bald trennen Annikas Käfer nur noch wenige Zentimeter von der Tunnelwand, und zwischen die AuÃenspiegel der beiden Autos passt gerade mal eine Handbreite. Annikas Stimme überschlägt sich: »ScheiÃe, Carl, was soll ich machen?«
Carl sitzt auf der Rückbank. Er ist Annikas Freund â und er weiÃ, was zu tun ist. »Gib ihm ein Zeichen, dass alles in Ordnung ist!«, ruft er.
Annika versteht nicht. »Was? Warum?« Verwirrt blickt sie sich nach ihm um.
»Mach einfach!«, gibt Carl zurück. Annika schaut also in Richtung des Geländewagenfahrers, streckt den Daumen nach oben, grinst. Und tatsächlich: Der Mann tritt aufs Gas, das Auto zieht vorbei und verschwindet.
Als sie den Tunnel hinter sich gelassen haben, fährt Annika rechts ran. Ihr Blick ist immer noch panisch, ihre Hände zittern. »Was war das? Was wollte der? Mein Gott, der hätte uns umbringen können!«
Auch Carl muss erst einmal durchatmen. Dann sagt er: »Der wollte dich nicht umbringen. Er hat dich am Steuer gesehen und mich auf der Rückbank â der dachte, ich würde dich entführen.«
Carl ist Südafrikaner, ein groÃer, schlaksiger Mann mit gemütlichem Gang und schwarzer Haut. Annika kommt aus Baden-Württemberg, hat rotblonde Locken und Sommersprossen. Zusammen sind sie ein Paar, das in Südafrika auch fast zwei Jahrzehnte nach Ende der Apartheid offenbar viele Leute nicht für möglich halten. Anstatt an ein Liebespaar zu denken, vermuten sie eher Kidnapping, wenn ein schwarzer Mann und eine weiÃe Frau gemeinsam im Auto unterwegs sind.
Seit sieben Jahren sind Annika und Carl zusammen. Als sie sich in Johannesburg kennenlernten, hielten sie in der Ãffentlichkeit noch nicht einmal Händchen. Carl war das einfach zu unangenehm, denn die Leute starrten ihn dann an â selbst heute ist das noch so. Auch Annika muss sich unfreundliche Blicke gefallen lassen, nicht nur von Passanten auf der StraÃe, sondern auch von Carls Freundinnen. Sie hat das Gefühl, es störe die jungen Frauen, dass Annika, eine WeiÃe, sich einen »ihrer« Männer geschnappt hat. Obwohl alle Englisch können, sprechen sie oft Zulu, wenn Annika dabei ist. »Aber selbst wenn ich nichts verstehe, merke ich ja, dass sie über mich reden«, sagt sie. »Da fühlt man sich echt doof.«
Carl und sie versuchen die Ablehnung nicht mehr an sich heranzulassen. Das alles schweiÃt die beiden auch zusammen. Sie haben eine Trotzhaltung entwickelt: Ob Bürokraten, SpieÃer, Rassisten oder Zicken â niemand kann uns beide stoppen! Wir gegen den Rest der Welt!
Doch zu sagen: Ihr könnt uns mal, das ist nicht so einfach. »Das Dumme ist ja«, sagt Annika, »dass wir von dem Wohlwollen so vieler Leute abhängig sind. Auch wenn die noch so blöd sind, muss man denen dann in den Hintern kriechen.« Annika meint damit vor allem zwei Personen: eine Standesbeamtin in Baden-Württemberg und einen Botschaftsangestellten aus Pretoria.
Die Standesbeamtin trifft Annika im Mai 2010. Sie will damals das Aufgebot bestellen, denn Carl und sie haben sich entschieden zu heiraten. Eigentlich geht Annika mit einem guten Gefühl ins Standesamt. Sie freut sich auf ihre Hochzeit. Es soll ein unaufgeregtes, herzliches Fest werden, mit Freunden, Familie und viel zu essen. Sie hat sich damals extra ein blaues afrikanisches Kleid nähen lassen. Annikas Schwester hat ebenfalls gerade ihre Trauung in dem Standesamt angemeldet und erzählt, wie schön das gewesen sei, weil sich alle mit ihr gefreut hätten. Man hatte ihr auch gleich das Trauzimmer gezeigt. Doch als Annika auf die Behörde kommt und das Aufgebot für sich und einen jungen Herrn namens Carl Mvusi bestellen will, da bekommt sie kein Lächeln und keine Vorfreude. Sie bekommt eine rüde Abfuhr: Also nein, bei so einem Paar wie Annika und Carl, da könne man keine Reservierung machen. Da müsse Annika erst einmal einen ganzen Stapel an wichtigen Dokumenten vorlegen. AuÃerdem sei ja nicht davon auszugehen, dass dieser Herr Mvusi ein Visum bekomme, um zu heiraten. Und ohne
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