Tapas zum Abendbrot
zusammen: »Also, ich glaube, Sie lügen mich an. Was Sie da behaupten, hat Carl auf keinen Fall gesagt. Warum versuchen Sie, mich zu verunsichern?«
Der Beamte stockt. »Ich werde jetzt alles, was Sie gesagt haben, noch einmal mit Herrn Mvusi gegenchecken.« Dann macht er eine Pause, wohl um zu sehen, ob Annika nicht doch noch einknickt und ihre Aussage ändert.
Sie erfährt erst später, dass dies wohl die richtige Reaktion auf die Provokationen des Beamten war. Denn drei Tage nach dem Gespräch hat Carl endlich sein Visum; den Botschaftsmann sah er nie wieder.
Das Erlebnis mit dem Beamten aus Pretoria liegt mittlerweile über ein Jahr zurück. Doch wenn Annika heute davon erzählt, klingt sie noch immer empört. »Auf dem Standesamt, bei der Botschaft, überall wurde uns suggeriert, dass das mit uns doch eh nicht gut gehen könne«, sagt sie.
Carl fügt hinzu: »Es ist bei den Menschen einfach noch nicht angekommen, dass Beziehungen wie unsere auch glücklich sein können.«
Die beiden sitzen in der Küche ihrer Mannheimer Wohnung, vor sich eine Schale mit Studentenfutter. Drei Zimmer haben sie hier, mit bunt zusammengewürfelten Möbeln. Manchmal können sie immer noch nicht glauben, dass sie es geschafft haben, dass sie heiraten konnten, die Familienzusammenführung genehmigt bekamen und heute gemeinsam hier sind. Dass sie die Leute Lügen gestraft haben.
Annika etwa wurde nicht nur einmal gewarnt, Carl könne HIV-positiv, polygam oder gewalttätig sein â unter anderem von ihrer Chefin in Südafrika, die jede Möglichkeit nutzte, Annikas Dienstplan so zu gestalten, dass sie Carl nicht treffen konnte.
Annika findet es anstrengend, dass so viele eine Meinung über sie und Carl haben, dass die Behörden â zumindest bis Carl letztlich das Aufenthaltsrecht in Deutschland bekam â sich dauernd bei ihnen einmischen konnten, dass sie immer von der Gunst anderer abhängig waren. »Man muss sein Leben wie ein offenes Buch vor sich hertragen, immer alles offenlegen. Ich hatte ständig Angst, dass jemand etwas gegen unsere Liebe haben könnte, es hat mich immer Ãberwindung gekostet, wenn ich auf eine Behörde musste oder ein Telefonat mit der Botschaft anstand.« Dass sie ohne Probleme nach Südafrika reisen konnte, Carl aber nicht nach Deutschland, brachte auÃerdem ein Ungleichgewicht in die Beziehung. »Und dieses Ungleichgewicht«, sagt sie, »ist ja schon wegen unserer Herkunft da.«
Annika stammt aus einer Pastorenfamilie, sie ist behütet aufgewachsen, ohne Geldsorgen. Zum Geburtstag bekam sie immer schöne Geschenke. Carls Mutter hat alleine vier Kinder durchgebracht. Er hat sie eigentlich kaum gesehen, weil sie sich immer abrackern musste. Die Sache mit den Geburtstagsgeschenken kannte er gar nicht, bevor er Annika kennenlernte.
Von Annika hat Carl nicht nur gelernt, dass man sich zu Weihnachten oder zum Geburtstag mal eine Freude machen kann. (Obwohl es etwas dauerte: Annika bekam vier Jahre lang kein einziges Geschenk.) Er hat sich von ihr auch abgeschaut, dass man sich manchmal selbst in den Hintern treten muss, wenn man etwas erreichen will.
Als die beiden sich 2004 in Südafrika kennenlernten, machte Annika gerade ein freiwilliges soziales Jahr. Und Carl machte, na ja, eigentlich nichts. Er leitete zwar ein kirchliches Jugendzentrum in einem Problemviertel von Johannesburg, doch er war unterbezahlt, unterfordert, unzufrieden â und sumpfte meist vor sich hin. Er hatte das Gefühl, dass er und seine Träume langsam untergingen.
Aber was sollte Carl auch machen? Er hatte keine Berufsausbildung. Natürlich wollte er gerne studieren, aber wie sollte er sich die Studiengebühren leisten? Um ihn herum gab es kaum Leute, die erfolgreich waren, bei denen er sich etwas hätte abschauen können.
»Dabei brauchte er damals eigentlich nur einen kleinen Stups«, sagt Annika heute.
Dass man so ganz ohne Ziel ist, das kennt sie nicht. Annika hat ein sehr gutes Abitur gemacht, sie hat Eltern, die sie unterstützen, sie kommt aus einem Land, in dem man kostenlos studieren kann und in dem man BAföG bekommt, wenn man sich das Studium sonst nicht leisten könnte.
So etwas musste es doch in Südafrika auch geben, dachte sie sich damals, setzte sich vor den Computer, recherchierte, rief beim Studierendensekretariat an â und fand ein Stipendium, durch das Carl die
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