Tapas zum Abendbrot
ersten Wochen überstanden sind, dann geht es wieder von hundert auf null zurück, dann werden die Sedlmayrs die Duplosteine wieder einpacken, dann können sie Rohan nicht mehr knuddeln, ihm nicht mehr beim Spielen zuschauen. Sie sehen ihn dann nur noch auf dem Computerbildschirm, wenn sie mit Susanne in Indien skypen. Rohan sitzt dann manchmal auch nur stumm vor der Kamera und beobachtet Oma und Opa. Er versteht die Sache mit der Internettelefonie noch nicht so richtig, etwa, dass seine GroÃeltern ihn auch hören können.
»Wenn wir aus Indien mit Skype telefoniert haben, dann fand er es zwar lustig, dass da Opa und Oma dran sind«, erzählt Susanne. »Aber sagen wollte er nichts. Und wenn ich aufgelegt habe, dann wollte er noch mal anrufen.«
Elisabeth Sedlmayr graut schon vor dem Tag, an dem sie wieder zum Flughafen in Frankfurt fahren müssen, dieses Mal zur Abflughalle. Das Tschüss-Sagen ist jedes Mal schwer. Sie versucht sich dann damit zu trösten, dass sie sich ja auf den nächsten Besuch freuen kann â und damit, dass sie und ihr Mann immer noch daran glauben, wozu sie sich einst entschieden haben: Ihre Kinder sollen nicht das werden, was ihre Eltern wollen. »Sie sollen das werden«, sagt Helmut Sedlmayr, »was sie sich selbst wünschen.«
Wie es ist, wenn man nicht an den gleichen Gott glaubt
(und die Familie das ganz furchtbar findet)
NEUSTRELITZ, 20. AUGUST
Ich komme zu spät zu meiner eigenen Hochzeit. Es ist schon fünf Uhr durch, verdammt noch mal, kann ich denn nicht ein einziges Mal pünktlich sein? Da drauÃen warten die Gäste schon seit einer halben Stunde! Panisch laufe ich die Stufen der langen Treppe im Schlosshotel hinunter. Das Kleid! Ich habe vergessen, mein Kleid anzuziehen! Stattdessen trage ich nichts auÃer einem uralten knallroten T-Shirt. Doch zum Umdrehen ist es zu spät â ich kann die anderen schlieÃlich nicht noch länger warten lassen. Endlich schaffe ich es durch die Tür. Da vorn: die Wiese. Plötzlich merke ich, dass ich völlig durchnässt bin â es regnet in Strömen. Aus meinen Haaren rinnt das Wasser über die Schultern, der Rasen wird immer matschiger, meine FüÃe versinken im Schlamm. Als ich hinunter schaue, sehe ich, dass an jedem Bein ein riesiger Barren Blei hängt. Je mehr ich mich anstrenge, desto langsamer geht es voran! Am Ende der Wiese wartet Roberto, das weià ich genau. Warum nur wird die Wegstrecke immer länger und länger? Wo sind meine Freunde, unsere Familien, wo sind die Musiker, die heute doch spielen sollen? Und wann, verdammt, hört es endlich auf zu regnen?
Ein Geräusch lässt mich aufschrecken. Verwirrt öffne ich die Augen und schaue mich um: ein Bücherregal, ein Schreibtisch, ein Kleiderschrank â mein altes Zimmer. DrauÃen bellt unser Hund. Es war nur ein Traum, denke ich und setze mich erleichtert auf, nur ein Traum! Meine Hochzeit ist erst morgen, ich komme nicht zu spät, und an meinen FüÃen hängt auch kein Blei.
Verschlafen schaue ich auf mein Handy: gerade mal acht Uhr. Dabei könnte ich eigentlich so lange schlafen, wie ich will. Aber mein Adrenalinspiegel scheint täglich zu steigen â und Adrenalin und Schlaf, das verträgt sich nun mal nicht.
Mal sehen, wie es drauÃen aussieht. Vorsichtig schiebe ich die Gardine neben meinem Bett beiseite und linse durch die Fensterscheibe. Nachdem es nun drei Tage lang genieselt hat, wäre ich mittlerweile ja schon mit einem einfachen Wolkenhimmel zufrieden. Hauptsache, es regnet nicht! Heute werden die Spanier nach und nach in Deutschland eintreffen. Dank der Lotsen nun also doch per Flugzeug. Am Abend erwarten wir auÃerdem einen GroÃteil der deutschen Gäste. Und dann geht es los mit dem Feiern! Wir haben mehrere groÃe Tische in einem Biergarten reserviert und ein groÃes Grillbuffet bestellt. Wenn es allerdings weiternieselt, klappt das mit dem DrauÃensitzen wohl nicht. Doch als ich nun mit noch müden Augen hinausschaue, kann ich es kaum glauben: Da ist tatsächlich ein Stückchen blauer Himmel zu sehen! Zwar umgeben von zahlreichen Wolken â aber immerhin! Es sollte doch nicht etwa ein sonniger Tag werden? Nur keine zu hohen Erwartungen aufbauen, sage ich mir selbst, tief durchatmen, Ruhe bewahren.
Gestern rief bereits eine spanische Freundin an, die vor der Hochzeit noch einige Tage in Berlin verbrachte. Ob es denn in
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