Taquanta: Zwischen Traum und Wirklichkeit (German Edition)
zu so früher Stunde unterwegs war, aber es war mir herzlich egal. Gemächlich ritt ich den Hang hinunter und durch die Stadt, obwohl es mich in den Fersen juckte, mein Pferd anzutreiben. Sobald ich Norjomi hinter mir gelassen hatte, preschte ich los, tief in den Lichten Wald hinein.
Vor meinem Aufbruch hatte ich noch einmal in
Taquanta
geblättert und eine Karte vom Wald gefunden. Da ein Wald aus Bäumen bestand, vermutete ich, dass der Herzensbaum – an dem die Herzen der Totseeler, und damit auch Giardios, hingen – sich dort befinden musste. Es war meine einzige Fährte. Andere hatten es vielleicht aufgegeben, das Rätsel zu lösen, ich hingegen war schon immer sehr stur gewesen. Wenn ich etwas wollte, dann kämpfte ich dafür. Momentan wollte ich Giardio an meiner Seite haben, mehr als alles andere, und so ritt ich durch den noch immer dunklen Wald, während über den Bäumen langsam die Sonne aufging und ein neuer Morgen begann.
Irgendwann später, am selben Tag – ich war mir nicht sicher, denn ich sah die Sonne nur selten – rastete ich mit meinem Pferd an einem Fluss. Im Wald war es still, wie an dem Tag, an dem ich Calvin begegnet war. Die Tiere fürchteten mich und meine Spezies. Verständlich. Ich tat es auch.
Mit angehaltenem Atem band ich mein Pferd an einen Baum. Meine Kehle hatte wieder angefangen zu brennen, und ich hielt es kaum mehr aus. Klar, ich konnte den Atem anhalten und den Geruch des Tieres damit abblocken, aber das änderte nichts daran, dass ich das Entspannen und Zusammenziehen seinen Herzens unter mir spüren konnte. Ich musste trinken. Ich musste jagen. Nachdem ich mich noch einmal versichert hatte, dass mein Pferd gut angeleint war, entfernte ich mich einige Meter und öffnete meine Lungen. Augenblicklich nahm ich Dutzende Gerüche war, auch solche, die mir vor meiner Verwandlung nie aufgefallen waren: das Gras, die Bäume, die frische Luft und die Sonne. Auch das Wasser und seine Insassen hatten ein bestimmtes Aroma und ich kauerte eine Weile einfach nur da, um die verschiedenen Gerüche auf mich wirken zu lassen.
Wie von selbst spannten sich meine Muskeln an. Ich schnupperte noch einmal, dann rannte ich los. Meine Schritte waren leise und ich war definitiv schneller geworden. Bevor ich die Lichtung erreichte, konnte ich hören, wie das Tier graste. Ich vernahm das Geräusch der malmenden Zähne und des Ausreissen des Grases.
Ich schlich mich an, leckte mir in Vorfreude über die Lippen. Ich war nur noch wenige Bäume von der Kreatur entfernt. Geschwind überwand ich die Distanz und richtete mich abrupt auf. Vor mir stand ein gesatteltes Pferd. Die Satteltasche war offen und auf dem Sattel sah ich Blut. Es schien mich zu wittern, denn seine Ohren stellten sich auf und es hielt im Kauen inne. In plötzlicher Furcht rannte es davon. Fehler. Mein Jagdinstinkt setzte ein. Ich schnellte nach vorne und holte schon bald auf. Mit einem Sprung erreichte ich den mächtigen Hengst und schlug meine Zähne in seinen Hals. Blut benetzte meine Lippen und ich sog gierig. Die warme, klebrige Flüssigkeit floss meine Kehle herunter und mit jedem Schluck wurde das Brennen erträglicher. Ich trank ausgiebig, bis das Tier blutleer war. Erst dann stiess ich es von mir, stand auf und machte mich ein wenig zurecht. Ich starrte auf das Pferd hinab. Erst jetzt realisierte ich richtig, dass es gesattelt war. Wir waren mitten im Wald. Wieso also lief hier ein gesatteltes Pferd herum?
Diese Frage quälte mich, während ich den Kadavar beseitigte und zu meinem eigenen Tier zurückkehrte und davon ritt. Ich hatte alle Taschen durchsucht und etwas Proviant sowie einen Kompass und ein Messer gefunden. Seltsam.
Es dauerte nicht lange, bis die Stille unterbrochen wurde. Als Erstes hörte ich Stimmen. Nicht eine, sondern mehrere. Sie schrien, Metall klirrte. Dann erklang ein Stöhnen, ein Aufschrei. Pferdehufe trampelten. Je mehr ich mich dem Geschehen näherte, desto deutlicher nahm ich auch Gerüche war. Erde, Schweiss, Aromen verschiedener Menschen und Blut. Jede Menge Blut. Willkürlich leckte ich meine Lippen. Nein! Ich hatte gerade erst mein Verlangen gestillt. Die Bestie in mir musste warten.
Mittlerweile war ich so nahe, dass ich einzelne Worte verstehen konnte. »Achtung, hinter dir!« – »Pass auf!« –»Stich zu!«. Wäre die Bestie in mir nicht so stark gewesen, wäre ich jetzt vor Angst gestorben, so aber verharrte ich regungslos, während mein Pferd unruhig unter mir zu scharren begann. Ein
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