Taquanta: Zwischen Traum und Wirklichkeit (German Edition)
Ich sah ihn vor mir, wie ich ihn das erste Mal erblickte, erinnerte mich an die Art, wie er mich aufgefangen hatte, als ich vor Schwäche gestrauchelt war. Ich rief mir ins Gedächtnis, wie er mich vor der Nymphe rettete. Wie wir zusammen am ersten Tag im Edelsteinpalast zu Mittag gegessen hatten. Es kam mir vor, als könnte ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren und seinen Geruch wahrnehmen. Ich blickte auf meineHände, während ich daran dachte, wie es sich anfühlte, wenn er seine Finger mit meinen verwob. Ich dachte daran, wie wir am Schlachtenmahl getanzt hatten. Wie er in den Krieg gezogen war. Auch den scheuen Kuss fühlte ich wieder auf meinen Lippen. Und dann waren da noch die Dinge, die ich mir vorstellte. Wie er auf die Vampire traf, sein Schwert durch die Luft sauste. Vielleicht sogar seinem Vater gegenüberstand. Bemerkte, zu was er wurde. Ich wünschte, ich hätte ihn dazu überredet zu bleiben.
7.
Er konnte es kaum fassen. Doch er hätte es wissen müssen. Natürlich kreuzte
er
auf.
Er
hatte noch nie zu der feigen Sorte gehört. Früher war er stolz darauf gewesen, doch heute verfluchte er es.
Es war schrecklich gewesen,
ihm
gegenüberzustehen. Sie hatten zugesehen, wie die anderen die Lichtung erreichten, und dann war die Hölle losgebrochen. Doch
er
war vorangeritten, und ihre Blicke waren sich genug lange begegnet, damit er all die Vorwürfe darin lesen konnte. Er verstand ja, dass
er
wütend und enttäuscht war, aber wieso hatte
er
kommen müssen.
Nicht nur brachte
er
damit sich selbst in höchste Gefahr, sondern auch ihn. Er hatte so viel Kummer in diesen ausdrucksvollen Augen gesehen. Und nun war er komplett abgelenkt und konnte sich kaum auf den Kampf konzentrieren. Schon mindestens ein Dutzend Mal hatte ihn jemand aus der Schussbahn ziehen müssen. Normalerweise konnte ihn nichts aus der Fassung bringen, dann kam
er,
und alles stand kopf! Einfach nicht zu fassen!
Und als ob das nicht das nicht schon tragisch genug war, verschwand
er
plötzlich. Im einen Moment war
er
da, sass auf seinen Pferd und schlug auf einen seiner Feinde ein, und im nächsten rannte sein Pferd aufgescheucht, ohne Reiter, ziellos über das Schlachtfeld. Dass
ihm
etwas zugestossen war, war ja klar. Aber was? Mit dem Kampf konnte es kaum etwas zu tun haben. Es war frustrierend.
»Achtung!«, schrie jemand. Seine Gedanken schnellten zu dem zurück, was vor ihm lag. In diesem Fall ein Elf mit einem gefährlich scharfen, in Vampuna getränkten Pfeil. Wie er diese Flüssigkeit verabscheute. Sie stank so fürchterlich.
Geschickt wich er dem Geschoss aus, doch es war knapp.
»Du bist fällig«, knurrte er.
X
Ich lag im Dunkeln, während meine Tränen in der schlimmsten, schmerzhaftesten und dunkelsten Nacht meines Lebens das Kissen durchnässten. Der Morgen schien so weit entfernt, der kommende ebenso wie der vergangene. Ich hatte das Gefühl, als wäre es Jahrzehnte, seit ich Giardio zum letzten Mal gesehen hatte. Zum letzten Mal, bevor ich seine Seele raubte.
Ich wollte nicht, dass es dämmerte. Dunkelheit schien mir das einzig Angemessene zu sein. Sie umfing mich und gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Beim Abendessen noch hatte ich geglaubt, ich gehöre in diese Welt, hätte meinen Platz gefunden, doch nun war mir klar, dass dem nicht so war. Wie auch, wenn ich für so viel Schreckliches verantwortlich war?
Usque ad fini – das hatte Opalia gesagt. In diesem Fall war das Ende einfach zu schnell gekommen.
Irgendwann waren alle Tränenvergossen, und ich fühlte mich ausgelaugt. Meine Glieder waren schwer, und mein Körper drängte mich dazu, einfach die Augen zu schliessen und einzuschlafen. Jede Faser meines Körpers sehnte sichdanach, aber diese Sehnsucht nach Schlaf wurde überlagert von der Sehnsucht nach Giardio. Und deshalb verbot ich mir auch, dem Drang nachzugeben, und erhob mich. Zuerst stand ich ein wenig wackelig auf den Beinen, doch bald schon fand ich meine Balance und schlich aus dem Zimmer. Mein Plan war theoretisch sehr simpel, in der Praxis hingegen würde ich einige Probleme bekommen.
Die grosse Eingangstür war verschlossen, also schlich ich mich durch die Küche raus und beeilte mich, unbemerkt zu den Ställen zu gelangen. Dort fütterte, sattelte und zäumte ich ein Pferd und schwang mich hinauf. Dann ritt ich zum Tor, wo mich der Wächter mit einem erstaunten Ausdruck passieren liess. Ich war mir nicht sicher, ob sein Mund offen stand, weil ich nicht im Damensitz ritt oder weil ich schon
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