Taqwacore
Vorfahren, glaube ich. Man nimmt etwas Tabak und wirft ihn ins Feuer, er macht ein knallendes Geräusch …« Er machte das Spiel aus und wir gingen in die Küche. »Die Gruppe bestand hauptsächlich aus Frauen«, erläuterte er und schenkte sich einen Kaffee ein. »Oder es kam mir zumindest so vor, weil die Frauen sich viel wohler dabei fühlten, in der kleinen Hütte zusammengepfercht zu sein, im Dunkeln zu schwitzen und zu singen. Außer mir und zwei Typen namens James und John waren die Männer alle Mitte dreißig. Auf der anderen Seite saßen alte Frauen, die das seit zwanzig Jahren machten, kleine Mädchen und alles zwischendrin. Da waren wir also – ein Haufen schwitzender, heißer Körper im Dunklen –, und riefen unsere Mütter, Großmütter und Urgroßmütter an. Und in ihnen – in Rabeya – sah ich etwas, das ich vorher noch nie gesehen hatte.
Im Islam, Yusef – wenn du ein Mann bist –, ist die weibliche Spiritualität wie eine ferne Insel, über die man nur lesen kann. Die Frauen beten weit weg, auf der Empore oder hinter der Trennwand, und bei der Dschuma hört man nie ihre Stimmen. Das wird damit begründet, dass Männer niemals unter Frauen sein können, ohne an unanständige Dinge zu denken.«
»Glaubst du, das ist wahr?«, fragte ich, »Können Männer denn unschuldig bleiben, wenn sie unter Frauen sind?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht, keine Ahnung. Aber wenn du glaubst, dass du es nicht kannst, und so lebst, als ob du es nicht kannst, dann hast du ein Problem.«
»Was meinst du damit?«
»Je mehr du akzeptierst, dass Männer an sich schwach sind, desto leichter ist es, Mädchen zu hassen. Plötzlich sind alle deine schmutzigen Gedanken ihre Schuld, weil sie hätten wissen müssen, wie schwach du bist, und das nicht hätten ausnutzen dürfen. Wenn du ein Sklave deiner Eier bist, kannst du alle Mädchen hassen. Mädchen, die laut lachen, Mädchen, die ihre Beine zeigen. Mädchen, die in Bars gehen und tanzen. Plötzlich hast du nichts mehr im Griff.«
»Verstehe.«
»Scheiße, Yusef. Wenn die schmutzigen Gedanken der Männer das Problem sind, warum stehen wir dann nicht hinter der Trennwand?«
Der neue Typ – Muzammil Sadiq – hatte seinen ersten Auftritt, als Fatima ihn am Freitag zur Dschuma mitbrachte. Da Jehangir wusste, dass sie ihn in San Francisco aufgetan hatte, behandelte er Muzammil gleich wie einen lange vermissten Bruder und verschwand mit ihm in eine Welt, die nur die beiden kannten: Namen von Straßen und Autobahnen, Restaurants und Clubs, gute und schlechte Viertel, Eigenheiten des Dialekts und geografische Besonderheiten. Muzammil wusste sogar über Taqwacore Bescheid, sodass diese Bewegung, die wir anderen nur durch Jehangirs Erzählungen kannten, etwas realer wurde. Muzammil hatte selbst einiges dazu zu sagen, er sprach von der zunehmenden Bedeutung des Genres, von der Verschmelzung von Taqwacore (muslimischer Punk) mit Homocore (schwuler Punk) zu etwas völlig Neuartigem: Liwaticore, eine Subkultur innerhalb der Subkulturen einer Subkultur.
»Bisher sind es nur ein paar Bands«, erklärte er. »Aber es ist ein Anfang.«
»Welche sind denn da drüben am bekanntesten?«
»Vor allem die Ghilmans …«
»Diese Typen sind einfach unglaublich – ich versuche sie für mein Konzert im Winter zu kriegen.«
»Das wäre ja geil«, entgegnete Muzammil. »Und dann gibt’s da noch die Wilden Mukhalloduns, und Istimna, beides ziemlich gute Bands. Die Guantanamo Bay Packers haben ein paar gute Songs. Gross National sind gut, sehr politische Texte. Die Sängerin ist Paschtunin und bi. Es werden bestimmt noch mehr werden, weil sich die schwule muslimische Bevölkerung zu einer eigenen Gemeinschaft entwickelt.«
»Inschallah«, sagte Jehangir und lächelte, sogar bei der Dschuma hatte er eine braune Glasflasche in der Hand.
»In Toronto sollte es sogar eine Moschee für Schwule geben, habe ich gehört.«
»Kein Scheiß?«
»Ja, aber sie haben es dann doch gelassen, weil sie Angst vor Ausschreitungen hatten oder so. Ich hätte sie mir nur zu gerne angeschaut.«
»Ich bin mir sicher, dass es irgendwann irgendwo eine geben wird. Mit Al-Fatiha und Queer Jihad und all diesen Gruppen und Kongressen, die jetzt überall auftauchen, und den ganzen Typen wie Suleman X … es wird bestimmt passieren.«
»Inschallah.«
»Der Islam war mal sehr viel offener in diesen Dingen«, sagte Jehangir und nahm einen Schluck aus der Flasche. »Damals, in der Zeit von Ibn
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