Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
Kristalldrachen erhoben sich derweil in die Lüfte und flogen auf die weitläufige Trümmerlandschaft zu.
Bromm grunzte zweifelnd. »Ich frage mich, wie sie diese Kesrondaia unter dem Geröll hervorziehen wollen.«
»Es gab eine verborgene Treppe«, verriet ihm Tarean. »Aber es scheint mir nicht so, als würden sie sich dafür interessieren.«
In der Tat machten die Kristalldrachen keinerlei Anstalten zu landen und zu versuchen, die gefangene Kristalldrachin auszugraben. Stattdessen bildeten sie in der Luft einen zweifachen Kreis um die Stelle, an der sich der Schlund in die Tiefe unter der Burg auftat. Thavazaron, Kesindraia und der Drache, der Tarean als Onjerupal vorgestellt worden war, bildeten den inneren Ring und schienen dabei jeweils fünf der fünfzehn kristallenen Giganten vorzustehen, die um sie herum in Stellung gegangen waren. Die beiden letzten Drachen, ihrer Größe nach zu urteilen jüngere Exemplare, hatten oberhalb des Doppelkreises einen Beobachtungsposten bezogen. Das dreispeichige Rad, fuhr es Tarean durch den Kopf. Hier sah er das Symbol des Dreigötterglaubens vor sich, auf unglaubliche Weise lebendig geworden. Wenn das Bruder Ingold wüsste …
Einige bange Herzschläge herrschte völlige Stille über der Ebene. Es war die gleiche Ruhe vor dem Sturm, wie sie kurz vor der Zerstörung der Hexerfeste durch die Steinernen eingetreten war. Unwillkürlich hielt Tarean den Atem an.
Dann hob Thavazaron sein sechsfach gehörntes Haupt zum Himmel und stieß ein markerschütterndes Brüllen aus. Neunzehn Kehlen antworteten ihm und ließen die Erde unter ihren Füßen erbeben. Im gleichen Augenblick drangen aus zwanzig kristallenen Brustpartien zwanzig gleißende Kraftströme, die zu Boden fuhren und die Trümmerberge rund um den Schlund in blendend helles Licht tauchten. Tarean kniff die Augen zusammen und wandte den Kopf ab, denn es war unmöglich, länger als einen kurzen Moment in das strahlende, rauschende Inferno zu schauen, das die Drachen über At Arthanoc entfesselten.
Als er nach geraumer Zeit wieder hinzublicken wagte, weiteten sich seine Augen vor Erstaunen. Der Schlund, die Trümmerlandschaft, ja, selbst ein Teil der Ebene und der Berge, welche die Feste des Hexenmeisters einst umgeben hatten, waren spurlos verschwunden, vom Antlitz der Welt getilgt durch die machtvolle Magie der Kristalldrachen. Stattdessen gähnte ein gewaltiger Krater direkt vor ihren Füßen. Die zunächst steilen, dann sanfter auslaufenden Hänge glommen in silbrigem Schimmer, und hier und da knackte es im Gestein, als sei der Fels unter unglaublicher Hitze nachgerade verdampft worden. In der Mitte des Kraters erkannte Tarean die schlafende Kristalldrachin. Die Überreste der riesigen Kristallformationen, die zuvor in der Höhle um sie herum gewachsen waren, ragten wie die Zacken einer bizarren Krone aus dem Boden und glitzerten im Schein der Abendsonne.
Kesindraia, Onjerupal und Thavazaron sanken andächtig zum Grund des Kraters hinab und traten auf ihre Mutter zu. Selbst aus der Ferne verspürte Tarean Ehrfurcht angesichts der Größe und Erhabenheit Kesrondaias, und er sah, dass auch keiner der anderen auf der Anhöhe von ihrem Anblick unberührt blieb. Sogar ihre drei Kinder schienen Respekt vor ihr zu empfinden. Onjerupal senkte sein von zwei dicken Kristallkämmen geziertes Haupt und zerbrach damit die Ketten, welche die Kristalldrachin hielten. Kesindraia löste mit geschickten Klauen die Fesseln. Thavazaron aber berührte Kesrondaia an der Brust, und Tarean glaubte zu erkennen, dass er den Sternkristall zurück in ihren Leib schob, den der Junge ihm zu Beginn seiner Reise entrissen hatte. Anschließend ließen die drei Drachen ein weiteres Mal die Alte Macht aus ihren Körpern strömen und badeten die Schlafende in silberweißes Licht.
Und mit einem Mal schlug die Kristalldrachin die Augen auf. Sie blinzelte träge und schüttelte das schwere Haupt, als wolle sie die letzte Benommenheit abstreifen. Dann sah sie sich um und erblickte ihre Kinder, die anderen Drachen, die Steinernen und zuletzt Tarean und seine Gefährten. Zum zweiten Mal an diesem Tag spürte der Junge, wie eine Welle aus Dankbarkeit und Freude über ihn hinwegrollte, als Kesrondaia erkannte, dass der Menschenjunge tatsächlich vollbracht hatte, worum sie ihn gebeten und wofür sie ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatte.
Mit einer anmutigen Bewegung erhob sie sich und entfaltete ihre mächtigen Flügel. Sonnenstrahlen fielen auf
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