Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
sich der Feste langsam näherten.
»Ja, Geisterschloss und verwunschene Stätte in einem«, pflichtete ihm Auril mit leicht misstrauischer Miene bei und ließ den Blick über die hellen Mauern schweifen, in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis darauf zu erhalten, ob in Nyrdheim noch etwas lebte, das für den Schrei verantwortlich gewesen sein könnte, den sie am gestrigen Abend vernommen hatten.
Eine niedrige Mauer begann die Straße zu ihrer Linken zu säumen. Moose und Gräser überwucherten den Stein, und an zahlreichen Stellen waren Stücke herausgebrochen. Sie hatten die Burg seit dem vorigen Nachmittag in weitem Bogen zur Hälfte umrundet und sahen nun, dass sie eine halb verfallene Steinbrücke überqueren mussten, um zu dem beachtlichen Portal zu gelangen, das in der Ostmauer Nyrdheims aufklaffte.
Sorgfältig auf den Boden zu ihren Füßen achtend, ritten sie über die Brücke hinweg. Überall gähnten gefährliche Löcher, durch die ein unvorsichtiger Wanderer hinab in die weißen Wolkenfluten stürzen konnte. Und auch wenn der Dunst nur zwei Manneslängen unter ihnen dahinzog und verführerisch weich aussah, wussten sie alle, dass sich darunter ein Abgrund von mehr als hundert Schritt verbarg, der von scharfgratigen Felsen gesäumt war.
»Das Tor steht offen«, bemerkte Auril verwundert, als sie den Blick vom Boden löste und nach vorn richtete.
»Wäre es dir lieber, es wäre geschlossen und wir würden hilflos davorstehen?«, fragte ihre Mutter.
»Nein, aber ich habe ein ungutes Gefühl – so als würde uns die Burg erwarten.«
Zaeena lachte. »Dein Vater hat dir zu viele Gespenstergeschichten erzählt, als du klein warst.«
Ihre Mutter mochte sich darüber lustig machen, aber Auril konnte den beunruhigenden Eindruck nicht abschütteln. Nyrdheim war nicht so leer, wie es schien, da war sie sich ganz sicher. Aber ist es nicht genau das, was wir wollen? Hoffen wir nicht, Lord Brahe dort zu finden? , dachte die Albin, nur um sich gleich darauf zu fragen, warum er sich ihnen noch nicht gezeigt hatte, wenn er in der Feste lebte.
Sie ritten über die heruntergelassene Zugbrücke und an den beiden Torflügeln vorbei, die einladend offen standen. Die mächtigen Holzflügel wirkten nicht etwa aufgesprengt oder sonst auf irgendeine Weise beschädigt. Sie waren schlicht fein säuberlich nach innen aufgeschoben worden. Die schwarz glänzende Zahnreihe eines schweren Fallgatters ragte über ihnen aus der Decke, und ein kompliziertes Muster aus verwitterten Runen bedeckte den Boden, als sie über die Schwelle traten und sich in einem Durchgang mit hoher, gewölbter Decke wiederfanden.
»Wir können ja mal anklopfen«, verkündete Zaeena unvermittelt, dann hob sie die Hand an den Mund und schrie: »He da! Ist jemand zu Hause? Lord Brahe!« Ihre Stimme hallte durch den Gang und verlor sich in den Tiefen Nyrdheims.
»Ob das so schlau war?«, murmelte Bromm an Aurils Seite.
»Was hast du erwartet? Sie ist meine Mutter«, gab die Albin leise zurück.
»Willst du damit sagen, dass plötzliches, unbedachtes Handeln bei dir in der Familie liegt?«
Aurils Mundwinkel zuckten verräterisch, als sie ihrem Gefährten einen funkelnden Blick zuwarf. »So etwas Ähnliches.«
»Es scheint niemand zu Hause zu sein«, stellte die Ritterin unterdessen fest.
»Wir sollten uns ein wenig umschauen«, sagte Hattson. »Vielleicht finden wir einen Hinweis darauf, ob Brahe hier war … und wo er abgeblieben ist.« Er zog Orialc aus der langen Scheide, die am Sattel seines Kaltblüters hing.
Auril nahm das zum Anlass, auch eines ihrer Schwerter hervorzuholen.
Sie erreichten eine Halle mit einer Decke, die so hoch war, dass Iegi darunter Flugkunststücke hätte vorführen können, ohne Angst haben zu müssen, irgendwo anzustoßen. In den gefliesten Boden war ein großer, silberner Kreis eingelassen. Ein Schriftzug rahmte den Kreis ein, aber Auril kannte die Sprache nicht, in der die Worte verfasst waren.
» Es gibt kein höheres Ziel als das Streben nach Wissen «, sagte Hattson.
»Ihr könnt es lesen?«, fragte die Albin.
Der Ritter nickte. »Der Satz ist in Altbreganorisch geschrieben. Scholaren der westlichen Reiche verwenden diese Sprache noch heute.«
»Guter Wahlspruch«, sagte Zaeena trocken. »Allerdings hat der Künstler vergessen hinzuzufügen: Wenn nötig, um jeden Preis! «
»Ihr seid zynisch, Zaeena«, tadelte Hattson Aurils Mutter.
»Ist doch so, oder?«
»Darüber werde ich jetzt bestimmt kein Streitgespräch
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