Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
rothaarige, sommersprossige Silas, der neben seiner Arbeit als Pferdeknecht auf Dornhall eine Ausbildung zum Soldaten erhielt, war nur der Sohn von Bediensteten, und auch wenn ihm der Burgherr in der Vergangenheit mehr als einmal seine Gunst erwiesen hatte, bedeutete das nicht, dass er einfach so in den Speisesaal stürzen und ihn beim Essen stören durfte. »Was ist das denn für eine Aufregung in der frühen Morgenstunde?«, fragte der Burgherr stirnrunzelnd.
»Ihr müsst rasch kommen, Herr«, rief Silas schwer atmend. »Unten im Tal … die Alben … ein riesiges Heer.«
Das Antlitz von Than Urias verfinsterte sich. »Was sagst du da? Im Tal ist ein Albenheer?«
Statt einer Antwort nickte der Junge nur.
»Das muss ich mir ansehen«, knurrte Urias. »Dame Jannis, entschuldigt mich bitte. Hofmeister, folgt mir.«
Während die Herrin von Dornhall mit ergebener Miene den Kopf neigte, erhob sich der Than und marschierte strengen Schrittes auf Silas zu. Der Hofmeister folgte ihm direkt hinterdrein. Der Junge drehte sich um und lief den beiden Männern voraus. Gemeinsam eilten sie durch die Gänge, in denen sich eine spürbare Unruhe ausbreitete. Auch die anderen Bewohner Dornhalls hatten die Kunde von der Anwesenheit der Alben vor ihren Zinnen vernommen. Immer mehr Neugierige ließen ihre Arbeit stehen und liegen und strömten in den Hof, um den Wehrgang zu erklimmen oder zum Tor hinauszutreten und einen Blick auf die Grauhäutigen zu erhaschen.
Silas stieg mit Urias und Dinral die Treppe zur Mauer hinauf und trat hinter die Zinnen. Der Anblick entlockte dem Burgherrn einen überraschten Ausruf: »Bei den Dreigöttern! Zieht Jeorhel in den Krieg, oder was ist hier los?«
Unten im Tal, auf der Handelsstraße, die von Cayvallon am oberen Ende des Almentals an Ortensruh vorbei und dann hinaus in die Kernlande Breganoriens führte, marschierte eine eindrucksvolle Streitmacht vorüber. Silas kannte sich mit Heeren nicht aus, aber er schätzte die Truppen des Hochkönigs von Albernia auf dreitausend Mann – wenn nicht mehr. Reihe um Reihe Schwertkämpfer und Bogenschützen in den metallbeschlagenen Lederharnischen der Alben zog unter den verblüfften Blicken der Dorfbevölkerung und Burgbewohner dahin. Dazwischen bewegten sich Einheiten aus Berittenen und Fuhrwerke mit Proviant und anderen Dingen, die ein Heer im Feld benötigte. Waffen und Rüstungen blitzten in der Morgensonne, Wimpel und Banner mit dem Symbol des Sturmfalken hingen von Lanzen und Fahnenstangen herab, und damit auch der letzte verschlafene Handwerksgeselle vom Auszug der Alben erfuhr, erklangen auf einmal helle Trompetenstöße, die von den Hängen des Antallarzugs und des Helvenkamms im Norden und Süden des Tales widerhallten.
Ilrod, der Waffenmeister von Dornhall, kam schnaufend die Treppe heraufgestiegen. Sein wettergegerbtes Gesicht mit den buschigen Augenbrauen wirkte noch finsterer als sonst.
»Meister Ilrod, wisst Ihr, was das hier zu bedeuten hat?«, fragte Urias.
Der stämmige Mann in der dunkelbraunen Lederbrünne nickte grimmig. »Ja, ich habe mit einem der Hauptleute gesprochen. Dem Anschein nach tobt unten in Nondur ein Krieg. Irgendeine dunkle Macht soll sich dort erhoben haben, und die Nondurier werden ihr nicht Herr. Daher hat sich Hochkönig Jeorhel entschlossen, ihnen zur Seite zu stehen. Er lädt jeden Mann, der ein Schwert zu führen vermag, ein, sich ihm anzuschließen.«
»Nondur ist weit weg«, sagte Urias.
»Das ist wahr, aber die Bedrohung scheint so groß zu sein, dass Jeorhel trotzdem mit allen Kräften, die er in der Kürze der Zeit aufbieten konnte, eingreifen will. Es heißt, dass der Feind, einmal siegreich, an den Grenzen von Nondur nicht Halt machen wird, sondern über die gesamten westlichen Reiche, ja ganz Endar herfallen könnte.«
Urias gab ein ungläubiges Brummen von sich. »Das klingt, als wäre ein zweiter Calvas aufgetaucht.«
»Ich gebe nur weiter, was mir gesagt wurde«, erklärte Ilrod mit einem Achselzucken.
»Was werden wir tun, Than Urias?«, fragte Hofmeister Dinral. Eine leichte Sorge schwang in seiner Stimme mit, wie immer, wenn äußere Umstände das wohlbehütete Leben auf Burg Dornhall durcheinanderzubringen drohten.
Urias fuhr sich nachdenklich durch den Bart. »Nichts«, entschied er dann. »Wenn Jeorhel wirklich glaubt, dass die Gefahr so groß ist, kann das Almental nicht ohne Schutz bleiben. Und da die Alben gerade vor unseren Augen das Tal verlassen, sind wir dieser
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