Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
vergangen. Ihre finsteren Seelen hatten sich in die Tiefen der Türme von Gongathar geflüchtet, nachdem ihre kolossalen Körper in den reinigenden Strahlen verdampft waren, die Moosbeeres Leib in alle Winkel der uralten Stadt und über das gesamte Schlachtfeld hinweggeschickt hatte.
Mit der Zerstörung des Obelisken und dem Tod des dunklen Bromm war die Armee der Toten im doppelten Sinne ihrer Führung beraubt worden. Wie Puppen, deren Spieler sie aufgegeben hatte, waren sie zu Hunderten zu Boden gesunken, und ihr furchtbares Unleben hatte von einem Augenblick zum anderen sein Ende gefunden. Befreit von der Bürde, unablässig gegen die Schatten ankämpfen zu müssen, hatten sich die Kristalldrachen schließlich ihrer verbleibenden Feinde aus den Glutlanden angenommen und diese dorthin zurückgejagt, woher sie gekommen waren. Der Sieg der Kristalldrachen und ihrer menschlichen, albischen und nondurischen Verbündeten war, nach allen Maßstäben der Kriegskunst, ein vollkommener.
Doch diesen Sieg hatten die Verteidiger Endars teuer erkauft. Tausende tapfere Nondurier waren in den vergangenen Wochen vor Gongathar ums Leben gekommen. Allein diese letzte Schlacht hatte die Zahl der Gefallenen sicher verdoppelt. Auch die Gildesöldner aus Bristaja und Jeorhels Heer hatten schmerzliche Verluste erleiden müssen. Sieben der fünfundzwanzig Kristalldrachen waren den Schatten zum Opfer gefallen. Für Tarean selbst allerdings wog der Tod seiner Freunde schwerer als alles andere.
Er hatte in seinem Leben schon einige treue Weggefährten verloren: Wilfert und Karnodrim vor At Arthanoc sowie Raisil, Fenrir und seinen Zwilling während ihres Kampfes gegen den Herrn der Tiefe. Moosbeere war ihm bereits zweimal beinahe entrissen worden. Er wunderte sich, dass all der erlittene Schmerz nicht irgendwann zur Abstumpfung führte. Dass dem nicht so war – und vielleicht niemals so sein würde –, hatte er erkennen müssen, als die Überlebenden begannen, ihre Gefallenen vom Schlachtfeld zu bergen.
Haffta war unter den Toten gewesen. Der letzte, furchtbare Schlag des Dämonenwerbären hatte ihr das Genick gebrochen – und Bromm das Herz. Es war Tarean nie aufgefallen, wie stark die Bande geworden waren, welche die beiden stillsten und bescheidensten seiner Gefährten im Laufe der gemeinsam verbrachten Monde geknüpft hatten. Es war keine aufregende, von Streit und Versöhnung geprägte Liebe gewesen, wie Tarean sie etwa mit Auril durchlebt hatte. Erst rückblickend fiel dem Jungen auf, wie milde der anfangs wutschnaubende Wolflingshasser Bromm im Umgang mit der sippenlosen Grawlfrau geworden war. Doch sein eigenes dunkles Ich hatte sie ihm genommen.
Halfbadur zählte ebenfalls zu den Opfern. Der ständig leicht angetrunkene Kristalldrachenritter hatte – so erzählte Janosthin dem Jungen – unter Einsatz seines Lebens versucht, den unheiligen Heerführer Gongathars aufzuhalten. Aber seine Kräfte hatten nicht ausgereicht. Auch ihn hatte Bromms dunkler Zwilling auf dem Gewissen. Auch ihm trauerte Tarean nach, obschon er ihn nur kurz gekannt hatte.
Den schlimmsten Schlag hatte ihm allerdings die Nachricht versetzt, die er kurz darauf erhalten hatte: Iegi und Callyn waren beide tot. Niemand vermochte genau zu sagen, wie es geschehen war. Man hatte sie unweit des riesigen Kadavers eines Glutlanddrachen und den Trümmern eines kleinen Jagdflugschiffes direkt außerhalb der Stadtgrenzen von Gongathar gefunden. Beider Körper wirkten innerlich zerschmettert, so als seien sie aus großer Höhe abgestürzt. Tarean nahm an, dass sein tolldreister Freund versucht hatte, die nondurischen Luftschiffer vor dem kohleschwarzen Ungetüm zu schützen, und sich die beiden ungleichen Kontrahenten im Duell gegenseitig ums Leben gebracht hatten. Von all den Freunden, die er in den letzten Monden gewonnen hatte, war Iegi sein ältester gewesen, und das Wissen, dass der Taijirinprinz ihm nun nie wieder mit seinem unerschütterlichen Mut und seiner selbstbewussten Lebensfreude zur Seite stehen würde, ließ Tarean in ein tiefes, dunkles Loch der Verzweiflung stürzen. Bromm und Auril erging es ebenso.
Und nun hieß es obendrein, dem Ersten Licht Lebewohl zu sagen – ein Moment, der sich für den Jungen einmal mehr wie ein Abschied von Moosbeere anfühlte, auch wenn ihn das gottgleiche Geschöpf hatte wissen lassen, dass Moosbeere nur noch ein kleiner Teil der großen Seele war, die den Körper des Irrlichts erwählt hatte, um nach Endar zu kommen.
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