Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
auf die es ihn verschlagen hatte, nachdem seine Mutter vor vielen Jahren mit ihm aus Agialon vor Calvas’ Bestienheer geflohen war. Er erblickte Moosbeere, deren Neugierde schier unerschöpflich schien und die sich auf ihren Streifzügen weiter von ihrer Heimat im Herzen des Cerashmon entfernte als all die anderen Irrlichter, die dort lebten. Dabei lernte sie auch einen greisen Kräuterkundigen kennen, der auf den ersten Blick liebenswürdig wirkte. Doch dann sprach er einen Zauber über sie, und es ward Nacht …
Ich schlage die Augen auf. Vor mir schwebt ein riesiges Gesicht, die Augen weit aufgerissen, der Mund halb geöffnet. Müde schaue ich mich um. Dumme Moosbeere, denke ich mir. Auf den alten Tattergreis hereinzufallen. In diesem Moment wird mir klar, dass ich frei bin! Ich bin frei! Der junge Riese muss mich befreit haben! Er scheint eigentlich ganz freundlich zu sein – ein bisschen schlicht, aber freundlich. Andererseits kam mir der blöde Pflanzenforscher auch zunächst ganz nett vor.
»Du starrst mich so gierig an, Riese. Man könnte meinen, du wolltest mich fressen.« Er wirkt verwirrt, und ich stelle sicherheitshalber klar: »Du glaubst doch nicht etwa, ich wäre genießbar, oder, Riese?«
Eine kräftige Böe wehte den Eindruck davon und ließ Tareans Geist erschauern.
»Ich bin ein Mensch, mein Name ist Tarean«, rufe ich der Elfe – dem Irrlicht! – trotzig zu. In diesem Augenblick breitet sich ein Lächeln auf ihrem winzigen Gesicht aus. Sie strahlt mich regelrecht an, während sie einen anmutigen Knicks vollführt und sich ebenfalls vorstellt: »Moosbeere.« Oh wundervolle winzige Moosbeere, ich will dich nie wieder verlieren …
Das Donnern war nun beinahe heran und verwandelte sich in das wilde Brausen eines gewaltigen Wirbelsturms. Tarean spürte, wie sein ganzer Körper von den titanischen Winden erfasst wurde, und ihm war, als rissen sie ihn in den leeren, weiten Raum jenseits der Grenzen seines Denkens. Er schrie, doch sein Schrei ging in dem Toben des Orkans unter wie ein einsamer Schwimmer auf einer aufgewühlten See.
Ein Abschied am Waldesrand, ein Wiedersehen am Ufer des Riva, eine Trennung inmitten eines Gewitters.
Das Heulen und Tosen blendete alle seine Sinne, erfüllte ihn von Kopf bis Fuß und zerrte mit unvorstellbarer Kraft an seinem Geist, als wolle es ihn in tausend Stücke zerreißen. »Moosbeere!«
Auf einmal erblühte ein heller Stern direkt vor seiner Nase, und aus dem Gleißen reckte sich ihm ein schlanker Arm entgegen, die Hand verlockend geöffnet. »Komm zu mir«, drängte ihn eine helle Stimme. »Halte dich an mir fest.«
»Moosbeere!«, rief er, ergriff die Hand und trat willig in das Licht hinein. Umso mehr erschrak er, als er sich einem fremden Mädchen gegenübersah, das ihn zu sich zog und Anstalten machte, ihn zu umarmen.
»Nein, ich bin es, Goldblüte!«, versetzte das Mädchen mit blitzenden Augen, während der Wind an seinem blonden Haar zerrte und seine Flügel flattern ließ. »Und jetzt zier dich nicht so, verliebter Wirrkopf. Es fällt mir schon schwer genug, gegen Mondentaus Zauber anzukämpfen. Wenn du dich auch noch wehrst, kann ich dich vielleicht nicht halten.«
Tarean riss im Geiste die Augen auf, als er verstand, was ihm das Irrlicht zu sagen versuchte. »Es tut mir leid«, stammelte er und ließ zu, dass ihm Goldblüte die Arme um den Leib schlang.
»Halt dich fest«, schrie sie ihm ins Ohr. »Es wird noch viel schlimmer, sagt Mondentau.«
»Schlimmer?«, wiederholte er ungläubig.
In diesem Moment traf ihn die volle Wucht des mentalen Wirbelsturms.
»Moosbeere, ich will dich nicht verlieren.«
»Hab keine Angst. Es ist doch nur ein Traum, und mir wird nichts geschehen.«
»Jetzt stirb, Tarean von Agialon.«
»Oh, Moosbeere. Warum hast du das nur getan? Warum hast du dein Leben für das meine gegeben?«
Es fühlte sich an, als sei ein Staudamm gebrochen und eine riesige Flutwelle donnere schäumend über sie hinweg. Goldblüte und Tarean schrien nun beide, während sie sich mit aller Macht gegen das tosende Inferno stemmten, das über sie hinwegbrauste und Moosbeeres Seele mit sich riss.
Auf einmal war es Tarean, als öffne er im Geist die Augen, und er sah plötzlich einen anderen Sturm und die Gestalt eines anderen Irrlichts direkt vor sich. Ihr altersloses Antlitz zeigte keinerlei Gefühlsregung, doch in ihren Augen flackerte es, als kämpften widerstreitende Empfindungen in ihrem Inneren kaum weniger heftig miteinander als
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