Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
menschenähnlichen Gestalt sah sie fast ebenso atemberaubend schön aus wie Moosbeere, allerdings wirkte sie deutlich jünger, und ihre langen Glieder hatten noch nicht die natürliche Anmut gelernt, mit der sich Tareans Gefährtin oder Mondentau zu bewegen wussten.
»Kommt«, gebot ihnen Mondentau. »Lasst uns beginnen.«
Tarean sah, dass sich einige Schritt rechter Hand von Mondentaus Blumenthron zwei größere Pflanzen herabgebeugt und ihre langen, spitz zulaufenden Blüten geöffnet hatten, sodass diese an eine – wenn auch sonderbare – Bettstatt erinnerten. In eine der beiden Blüten ließ Mondentau den Jungen Moosbeere legen, in der anderen durfte er es sich selbst bequem machen, nachdem er Harnisch und Stiefel abgelegt hatte. Eingebettet in den goldenen Schimmer der prächtigen Glasblume blickte er mit klopfendem Herzen in den Dunst hinauf, der unter der Decke der Kammer wallte, und fragte sich, auf was er sich da bloß eingelassen hatte. Moosbeere lebt! Nur darauf kommt es an. Alles andere ist unwichtig!, rief er sich zur Beruhigung ins Gedächtnis. Trotzdem nagte eine dumpfe Angst an seinen Eingeweiden.
Über ihm tauchte auf der einen Seite das ruhige Antlitz der Irrlichtfrau auf, auf der anderen erschien Goldblütes vor Aufregung glühendes Mädchengesicht. »Ein letztes Mal frage ich dich«, sagte Mondentau. »Möchtest du diesen Seelenwechsel vollziehen, Tarean?«
Nein, eigentlich würde ich jetzt viel lieber bei Auril, Bromm und Haffta am Lagerfeuer sitzen und Felkspieße braten, dachte Tarean. Doch er verkniff sich die sarkastischen Worte – zumal sie nicht einmal der Wahrheit entsprachen – und nickte stattdessen. »Ja, das will ich.«
»Gut. Dann nimm Goldblütes Hand. Sie wird dir Kraft spenden, die du brauchen wirst, damit dein Geist von dem, was ich zu tun gedenke, nicht hinfortgerissen wird.«
Er blickte das Irrlichtmädchen an und hob die Linke. Sie ergriff sie mit beiden Händen und hielt sie ganz fest – ob um Tarean oder um sich selbst Mut zu spenden, war dabei schwer zu sagen.
»Schließe die Augen und öffne deinen Geist«, befahl ihm Mondentau, während sie sich zwischen ihn und Moosbeere stellte und beider Stirn mit je einer Hand leicht berührte. »Überlasse mir die Führung und gib dich dem, was geschehen wird, einfach hin …«
Tarean schloss die Augen und erlaubte seinen Gedanken, in die Schwärze hinter seinen Lidern abzudriften.
Für einige Herzschläge lag er in der Finsternis da, spürte nichts als die federleichte Berührung Mondentaus auf seiner Stirn, die warmen Hände Goldblütes und das Prickeln der Alten Macht, die ganz Tesh Ilmarin erfüllte, während das Wispern des unablässig umhergeisternden vielstimmigen Chors wie eine durch Blätterwerk flüsternde Brise an seine Ohren drang.
Auf einmal überkam ihn die verwirrende Empfindung eines leichten Windhauchs in seinem Geist, eines kaum wahrnehmbaren Luftzuges, wie er an einem lauen Sommerabend durch das hohe Gras einer Wildwiese fahren mag.
Aus Licht geboren, einem Funken der Alten Macht …
… in einer dunklen Nacht, die seinem Vater den Tod brachte.
Tarean runzelte die Stirn. Oder dachte er nur daran, die Stirn zu runzeln?
Der Windhauch wiederholte sich, etwas stärker diesmal. Man hätte ihn für den Vorboten eines nahenden Unwetters halten können.
Eine Frau aus weißem Glanz und Strahlen flüstert …
»Tarean.«
… und drückt ihn ängstlich an die Mutterbrust, vor Wolf und Dämon fliehend.
Er spürte jetzt ganz deutlich, dass etwas in seinem Innern in Bewegung geraten war. Unzusammenhängende Eindrücke, manche vertraut, manche fremd, begannen in seinem Geist umherzuwirbeln, Erinnerungsfetzen zweier Leben, wie Tarean erkannte, Moosbeeres und seines eigenen, im lautlosen Reigen verschränkt.
Ewig währende Dämmerung und …
… sonnenbeschienene Wiesenhöhen.
Ein Tanz im Mondlicht hoch über den Bäumen …
… und trunken vom Met beim Erntedank.
Ein Streit mit den Schwestern …
… mit Ahn und Ahne.
Streifzüge tief in den Wald hinein …
… und hinauf zu den Almen der hohen Berge.
Jenseits dieser Bilder braute sich etwas zusammen. Der Wind frischte spürbar auf, und ein dumpfes, anhaltendes Donnern wurde in der Ferne laut.
Immer rascher huschten die Eindrücke vor Tareans innerem Auge vorüber. Er sah sich selbst schlaglichtartig älter werden, seine Zwiste mit Silas – dem Karottenkopf – und die mehr oder weniger offenen Anfeindungen der anderen Bewohner von Burg Dornhall,
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