Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
aufmerksamen Ernst, über den Tarean nur staunen konnte.
Der Anblick seiner winzigen Gefährtin rief dem Jungen einige andere Fragen ins Gedächtnis, die er schon eine ganze Weile mit sich herumgetragen hatte, ohne jemals den rechten Zeitpunkt zu finden, sie zu stellen. Immer hatten die Umstände verhindert, dass er sich mit Moosbeere zusammensetzte und mit ihr über all die kleinen Ungereimtheiten sprach, die ihm in den letzten Monden aufgefallen waren. Vielleicht war nun, da sie ungestört allein am Rand des Cerashmon saßen und darüber hinaus einander enger verbunden waren als jemals zuvor, der richtige Moment gekommen. Und enger verbunden waren sie – wenn auch auf eine schwer zu beschreibende Art und Weise. Es war, als habe der Seelenwechsel eine fragile Brücke über den für gewöhnlich unüberwindlichen Abgrund zwischen ihrer beider Bewusstsein geschlagen, und von Zeit zu Zeit strich eine Brise von Gedanken und Gefühlen durch Tareans Geist, die nicht die seinen waren.
»Moosbeere«, rief der Junge.
»Ja?«, wehte das helle Stimmchen des Irrlichts zu ihm herüber.
»Hättest du etwas Zeit für mich?«
Moosbeere ließ von dem Gebüsch ab, dem bis dahin ihre Aufmerksamkeit gegolten hatte, und gesellte sich zu ihm. »Aber natürlich«, sagte sie fröhlich. »Was gibt es?«
»Ich … also …« Moosbeeres Geradlinigkeit war so eine Sache, mit der er wohl niemals problemlos zurechtkommen würde. »Ich würde dir gerne ein oder zwei Fragen stellen. Ernsthafte Fragen, verstehst du?«
Seine winzige Gefährtin legte den Kopf schief und hing für einen Atemzug schweigend vor ihm in der Luft. Dann ließ sie sich ohne ein weiteres Wort federleicht auf seinen angewinkelten Knien nieder und zog in einer Nachahmung seiner Geste ebenfalls die Knie an die Brust. Sie verschränkte die Arme davor und blickte ihn aus strahlend blauen Augen erwartungsvoll an. »In Ordnung. Frag.«
Für einen Moment erwog Tarean, zunächst ein paar einleitende Sätze zu sagen, bevor er zum Kern kam, entschied sich dann aber dafür, so geradeheraus zu sein wie das Irrlicht auch. »Wer bist du, Moosbeere?«
Seine winzige Gefährtin stellte eine verwirrte Miene zur Schau. »Ich bin ein Irrlicht. Das weißt du doch.«
»Aber das ist nicht alles, oder?«, hakte Tarean nach. »Bitte, Moosbeere, mach mir nichts vor. Ich habe Irrlichter kennengelernt, Goldblüte etwa. Irrlichter fliegen im Wald umher, verheddern sich in Spinnenweben und unterhalten sich mit Bäumen.«
Moosbeere zuckte mit den Schultern. »Und wenn schon. Ich war in dem Einmachglas eines blöden Kräutergreises gefangen und habe mit Trollen Fangen gespielt, als wir uns begegnet sind.«
»Und im Anschluss daran hast du gegen Hexenmeister gekämpft und dich mit der Mutter der Kristalldrachen, dem Anführer der Steinernen und einem Dämonenfürsten unterhalten, als wärt ihr einander ebenbürtig! Erzähl mir nicht, dass das für ein Irrlicht normal ist.«
Moosbeere schwieg für einen Moment, als müsse sie sich darüber klar werden, wie viel von ihren Geheimnissen sie dem Jungen gegenüber preisgeben wollte. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, bekannte sie schließlich.
»Wie wäre es mit der Wahrheit«, schlug Tarean vor. »Habe ich mir die Wahrheit nicht mittlerweile verdient?«
Statt einer Antwort schwang sich Moosbeere vor ihm in die kühle Abendluft. »Steh auf und zieh deinen Flattermannharnisch aus«, sagte sie.
»Meinen was?«, fragte Tarean überrumpelt.
»Deine Rüstung!«
»Jetzt? Aber warum?«
Moosbeere schwebte direkt vor ihn. »Weil du unbequem bist, solange du dieses Ding trägst«, erklärte sie mit Nachdruck und klopfte zur Bekräftigung auf die verzierte Brustplatte aus gehärtetem Leder, die an Tareans Halsansatz aus dem um den Leib geschlungenen Mantel herausragte.
Der vorsichtige Teil von Tareans Innerem wies ihn darauf hin, dass er sich nachts allein am Rande des Cerashmon befand, doch die Aufmerksamkeit des Jungen war zu sehr von der erwartungsvollen Miene Moosbeeres eingenommen, um der mahnenden Stimme Beachtung zu schenken. Er nickte, erhob sich und löste zuerst die Spange seines Reisemantels und dann die Schnallen des Lederharnischs. Er hatte die Rüstung gerade über den Kopf gezogen und zu seiner Linken ins Gras gelegt, als es ohne Vorwarnung gleißend hell um ihn wurde.
Von einem Moment zum nächsten befand er sich im Zentrum einer Kugel aus goldenem Licht. Ein glitzernder Schleier hüllte seinen Körper ein, und ein Kribbeln und
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