Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
südwestliche Richtung auf die große Menschenmetropole in den Kernlanden Breganoriens zu, und er war dankbar dafür, dass ihn sein Weg vorwiegend durch sanft hügelige Wiesenlande führte. Ansonsten hätte er die sich selbst auferlegte Eile niemals durchgehalten.
Nur einmal machte er kurz an einem einsamen Bauernhof Halt, um etwas Proviant zu erstehen, wobei ihm auffiel, dass er keine müde Silbermünze mehr im Säckel hatte. Er mochte einen Hexenmeister und seinen Dämon besiegt, den Herrn der Tiefe getäuscht und die Kristalldrachen befreit haben, doch all das hatte ihm keinen weltlichen Lohn eingebracht. Glücklicherweise wachte just in diesem unangenehmen Moment Moosbeere auf, und die Bäuerin war von dem kleinen Geschöpf so angetan, dass sich ihr Herz erweichte und sie dem Jungen ein wenig Obst, Brot und Hartwurst für seinen Weg in die große Stadt schenkte.
Gegen Mittag des dritten Tages erreichte er die ersten Ausläufer Agialons – Felder und Gehöfte, die im Umkreis der Stadt lagen und der Versorgung ihrer zahlreichen Bewohner dienten. Es hatte sich einiges getan in den Monden seit dem Fall von At Arthanoc und dem Sieg über die Wolflinge. Während sich der letzte Winter noch über heruntergekommene Höfe und ein versehrtes Land gesenkt hatte, war im Laufe des Frühlings ein neuer Lebensfunke in den Menschen erwacht. Sie hatten begonnen, ihre Heime wieder aufzubauen, die Felder neu zu bestellen und alle sichtbaren Spuren der Besatzung durch die Grawls nach und nach zu beseitigen. Breganorien war noch keinesfalls das blühende Land, das es vor Tareans Geburt gewesen war. Aber es befand sich auf dem Weg dorthin, einem Weg, den seine Bewohner im Schweiße ihres Angesichts ebneten.
Auch Agialon selbst hatte sich verändert, wie Tarean sehen konnte, als er sich der Stadt in der Abenddämmerung von Nordosten her näherte. Natürlich waren die Banner der Grawls, der schwarze Wolfskopf auf blutrotem Grund, die in den sechzehn Jahren von Calvas’ Herrschaft von den Türmen und Zinnen der Stadtmauer gehangen hatten, verschwunden. Auch die riesigen Viehweiden im östlichen und südlichen Umland, die dazu gedient hatten, den ständigen Bedarf der Wolflingbesatzer an Frischfleisch zu decken, gab es, soweit der Junge das überblicken konnte, nicht mehr. Was ihn aber wirklich überraschte, war der Umstand, dass ein Großteil der windschiefen Holzhütten abgerissen worden war, in denen viele der zur Arbeit gepressten Untertanen des Hexers jahrelang ein ärmliches Dasein gefristet hatten. Nach der Vertreibung der ungeliebten Herren musste der neue Althan der Stadt enorme Anstrengungen unternommen haben, um diesen Würgestrick des Elends, den mehr als ein Jahrzehnt der Ausbeutung um die Stadt gelegt hatte, zu zerreißen und abzustreifen.
»Tust du mir einen Gefallen, Moosbeere?«, wandte sich Tarean an seine Gefährtin, als sie sich gemeinsam dem Osttor Agialons näherten.
»Welchen?«, fragte das Irrlicht in einem leicht unwilligen Tonfall, so als wisse es bereits, worum der Junge es bitten wolle.
»Versteck dich in meiner Tasche, bis wir das Haus von Beornhard erreicht haben. Ich möchte nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig erregen, und solange du um mich herumschwirrst, wären mir die Blicke der Stadtbewohner sicher.« Er warf Moosbeere einen um Verzeihung heischenden Blick zu, denn er wusste, wie ruhelos sie gerade in den Abendstunden war, kurz nachdem sie ihren Tagschlaf beendet hatte.
Zu seiner Überraschung ließ sie es jedoch nicht auf einen Zwist ankommen, sondern seufzte nur theatralisch und huschte dann zu seiner Hüfte, wo die Reisetasche hing, um sich darin zu verkriechen.
»Danke, Moosbeere.«
»Erinnere dich bloß daran, wenn ich dich das nächste Mal um etwas bitte«, vernahm er die durch den festen Stoff gedämpfte Antwort aus dem Inneren. Im nächsten Augenblick kam Moosbeere wieder zum Vorschein und verstellte ihm in der Luft den Weg. »Da fällt mir gleich etwas ein, und das ist nicht mal eine Bitte.«
Tarean zog fragend die Augenbrauen hoch.
Moosbeere hob mahnend einen Zeigefinger. »Du darfst niemandem erzählen, dass ich mich verwandeln kann. Absolut niemandem. Nicht, wenn du Lust dazu hast, nicht, wenn du wütend auf mich bist, und nicht, wenn unser Leben davon abhängt! Das Wissen, das wir beide miteinander teilen, seit sich unsere Seelen berührt haben, muss ein Geheimnis bleiben. So sind die Regeln. So waren sie immer. Und nur weil ich sie für dich gebrochen habe, heißt das nicht,
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