Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
zuckte mit den Schultern. »Es muss die Erschöpfung gewesen sein. Die letzten Tage waren ziemlich anstrengend.«
»Das kannst du laut sagen«, warf Bromm ein. »Aber wir haben keinen Grund zum Jammern! Du bist wieder da, und du hast durch welches Wunder auch immer unsere kleine Strahlefrau mitgebracht. Wir sollten also nicht hier herumstehen und dreinschauen, als hätten wir drei Tage lang im Regen gesessen, sondern uns freuen, dass wir leben und wieder zusammen sind!« Der Werbär schlug dem Jungen so aufmunternd auf die Schulter, dass dieser beinahe wieder in die Knie gegangen wäre.
»Du sagst es, Brummbär!«, zwitscherte Moosbeere fröhlich, während sie heranhuschte, um die bärtige Wange ihres hünenhaften Gefährten zu umarmen. »Jetzt kann es endlich wieder losgehen.«
Tarean sah zu Auril hinüber.
Das Gesicht der Albin wurde etwas weicher, und sie schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. In ihren Augen aber lag ein Hauch von Trauer und Wehmut. Tarean hatte Moosbeere, seine unverwüstliche Moosbeere, zurück ins Leben geholt, doch der Junge, den Auril geliebt hatte, sein Zwilling, würde niemals wiederkehren. Sie mochten in der Tat alle erneut vereint sein, aber im Herzen der Albin klaffte eine leere Stelle, die erst die Zeit würde füllen können. Vielleicht.
In der Nacht kehrten Tareans Gedanken noch einmal zu der seltsamen Vision zurück, die er am Küchentisch von Beornhard gehabt hatte. Seinen Freunden gegenüber hatte er die beängstigende Erfahrung nicht erwähnt, denn er wollte sich zunächst selbst einen Reim darauf machen, was sie bedeuten mochte. Ich habe schon früher Visionen gehabt – oder zumindest Träume, in denen verschlüsselte Blicke in die Zukunft verborgen lagen , dachte er. Aber was war das nun? Ein Blick in die Vergangenheit? Ein Traumgebilde, das aus meiner überreizten Fantasie entstanden ist?
Nun erst erkannte er, dass ihm womöglich ein seltenes Geschenk gemacht worden war. Wenn er tatsächlich, aus welchem Grund auch immer, einen Blick auf die letzten, die entscheidenden Momente im Leben seines Vaters geworfen hatte, dann war es ihm an diesem Abend zum ersten Mal überhaupt vergönnt gewesen, Anreon von Agialon tatsächlich kennenzulernen. Das geisterhafte Bildnis des Ritters, das er damals während des Kampfes um Ortensruh und später erneut im Thronsaal des Hexenmeisters gesehen hatte, war schließlich nicht mehr als ein Trugbild von Calvas gewesen. Doch mein Vater war nur ein Gast in diesem Traum. Es ging um Wilfert …
Unzufrieden starrte er an die Holzdecke des Gästezimmers, das Beornhard ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Eigentlich war es Bromms und Aurils Gemach gewesen, doch der Werbär hatte das Erscheinen des Jungen als willkommene Entschuldigung genommen, dem für seine Statur viel zu kurzen Bett zu entrinnen und es sich stattdessen bei Haffta unter dem Dach auf einigen Strohballen gemütlich zu machen. Nun schliefen hier Tarean und Auril gemeinsam, ein Umstand, der noch vor weniger als zwei Monden den Herzschlag des Jungen beschleunigt hätte. Mittlerweile hatte sich alles verändert. Auch wenn er sich ganz tief in seinem Inneren gelegentlich fragte, wie eine gemeinsame Zukunft mit der Albin wohl ausgesehen hätte, stellte sie für ihn nicht mehr als eine treue Freundin dar, so wie er selbst für sie nur noch ein guter Freund war, wie Bromm oder Iegi auch. Wahrscheinlich sogar weniger, denn Bromm und Iegi waren immer für sie da, während wir zwei uns das Leben schwer gemacht haben , dachte er mit einem Anflug von Bitterkeit, während er auf die dunkle Silhouette Aurils blickte, die von ihm abgewandt tief und fest schlief.
Leise, um die Albin nicht zu wecken, erhob er sich von seinem Schlaflager und schlich nach draußen. Er wollte mit Moosbeere sprechen und hatte auch schon eine ungefähre Vorstellung, wo er das Irrlicht finden würde. Behutsam stieg er die Holztreppe hinab ins Erdgeschoss. Alles war dunkel und ruhig. Auch Beornhard, der noch in der Wohnstube eine Pfeife geraucht hatte, als sich die Übrigen zur Nacht verabschiedeten, schlief mittlerweile.
Durch die Hintertür schlüpfte Tarean auf den Hof hinaus. Das letzte Mal, als er auf diesem Hof gestanden hatte, war er in einen Kampf gegen fünf Wolflinge verwickelt gewesen. Noch immer erinnerte er sich daran, wie furchtbar Esdurial unter seinen Feinden gewütet hatte. Damals war er über die Macht der Klinge regelrecht erschrocken gewesen. In der Zwischenzeit war es ihm in Fleisch und Blut
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