Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
mehr als eine zerschmetterte, ausgebrannte und dem Verfall preisgegebene Ruine übrig geblieben.
»Ein trauriger Anblick, nicht wahr?«, bemerkte Auril, als sie, Bromm und Tarean am nächsten Morgen über eine kopfsteingepflasterte Straße den Burghügel hinaufstiegen.
Tarean nickte nur stumm, während er mit beklommenem Blick auf die verfallenen Mauern starrte.
Die Albin und der Werbär hatten der Festung bereits am gestrigen Tag einen Besuch abgestattet, was auch die Erklärung für ihre verstaubten Kleider gewesen war. Dabei hatten sie eine Entdeckung gemacht, wie sie es ausdrückten, die sie heute unbedingt mit Tarean zu teilen gedachten. Worum es sich bei dieser Entdeckung handelte, hatte der Junge ihnen während ihres gemeinsamen Abends in Beornhards Küche allerdings nicht zu entlocken vermocht. Also waren sie bei Tagesanbruch losmarschiert, um sich in einem einstündigen Fußmarsch einmal quer durch Agialon der Feste zu nähern. Moosbeere war zurückgeblieben, um Haffta Gesellschaft zu leisten. Tarean war das ganz lieb gewesen, denn er wollte nach wie vor so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erregen.
Unterwegs hatte Tarean Bromm und Auril von dem Kristalldrachen erzählt, den Moosbeere und er am Rand des Cerashmon gesichtet hatten. Die beiden Freunde teilten seine Meinung, dass dessen Eile kein gutes Zeichen war. »Aber was bleibt uns schon, als wie geplant nach At Arthanoc zu reisen? Wenn etwas passiert ist, wird uns Kesrondaia sicher davon unterrichten«, hatte Auril sehr treffend festgestellt.
Während sie auf das halb eingestürzte Torhaus zugingen, ließ der Junge seinen Blick über das gewaltige Gemäuer schweifen. Er versuchte sich auszumalen, wie das Leben dort oben wohl gewesen war, als der Stern des Kristalldrachenordens noch hell über Agialon gestrahlt hatte. Dort hatte sein Vater seine Ausbildung zum Ordensritter erfahren. Dorthin hatte er Silea, Tareans Mutter, gebracht, nachdem er im Almental ihr Herz gewonnen hatte. Waren sie glücklich gewesen? Und wie lange hatte dieses Glück gewährt, bevor sich Calvas’ Schatten über die westlichen Reiche legte und Anreon gezwungen war, seine schwangere Frau zurückzulassen und auszuziehen, um nach dem Buch der Verbannung zu suchen?
»Alles in Ordnung, Tarean?«, fragte Auril, die an seiner Seite den unvollständigen Torbogen der Ordensburg durchschritt, dessen schwere, schmiedeeiserne Türangeln davon zeugten, dass hier früher riesige Torflügel gehangen hatten. Ihre Schritte knirschten auf dem Kies, und ein leichter Wind pfiff um das tote Mauerwerk. Sonst herrschte vollkommene Stille.
»Ja. Nein. Ich weiß nicht.« Tarean runzelte die Stirn. »Es fühlt sich seltsam an, zum ersten Mal diesen Ort zu betreten, an dem meine Eltern gelebt haben und an dem ich geboren wurde. Ich habe weder sie noch diese Burg jemals kennengelernt.«
»Du lernst sie jetzt kennen«, warf die Albin ein.
Der Junge schüttelte den Kopf. »Es ist etwas anderes, durch eine Ruine zu streifen, als den Ort zu besuchen, der diese Burg einmal gewesen ist. Was sollen mir diese Mauern noch vermitteln – außer dem Gefühl, dass alles, was scheinbar ewig Bestand hatte, in unseren Tagen auf einmal in Schutt und Asche gelegt wird? At Arthanoc … der Orden der Kristalldrachenritter …«
Auril betrachtete nachdenklich die leeren Fensterhöhlen der Gebäude, an denen sie vorbeikamen. »Ich glaube, ich weiß, was du meinst.« Sie klopfte ihm auf die Schulter und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. »Aber ganz so tot und vergangen, wie du befürchtest, ist die Ordensburg nicht. Du wirst schon sehen.«
Sie betraten eines der Wirtschaftshäuser im hinteren Teil der Burganlage. Im Inneren sah es nicht viel besser aus als draußen. Trümmer übersäten den Steinfußboden der Eingangshalle, ein großer Eisenlüster hing nur noch an zwei von vier dicken Ketten von der Decke, und durch ein klaffendes Loch in der Mauer fiel Tageslicht ins Innere. Staub tanzte in der Luft und reizte Tareans Nase.
Auril und Bromm führten ihn durch Gänge, an deren Wänden zerschlissene Wandteppiche hingen, die von den Taten längst verstorbener Helden kündeten. Kaum noch erkennbare Männer und Frauen zogen auf ihnen in die Welt hinaus, um nach machterfüllten Artefakten zu suchen, Ungeheuer zu bekämpfen und verlorene Söhne und Töchter nach Hause zu bringen. Unwillkürlich fragte sich Tarean, ob es irgendwo in der Ruine auch noch Abbildungen gab, die ihm etwas über die Abenteuer seines Vaters
Weitere Kostenlose Bücher